_ HUSS UND WICLIF

VON

JOHANN LOSERTH

Zweite Auflage

in

NY HB U,

VERLAG R.OLDENBOURG MÜNCHEN UND BERLIN

LK73 187

RL

-

HUSS UND WICLIF

ZUR GENESIS DER HUSSITISCHEN LEHRE

VON

JOHANN LOSERTH

Zweite veränderte Auflage

MÜNCHEN UND BERLIN 1925 DRUCK UND VERLAG VON R. OLDENBOURG

55615

IDEE wre IN Be 29 7

947

Alle Rechte, einschließlich des Übersetzungsrechtes, vorbehalten. Copyright 1925 by R. Oldenbourg, München.

Vorwort.

Das vorliegende Buch, das jetzt in neuer, vielfach geänderter Gestalt erscheint, hat seinerzeit ein bedeutendes Interesse in literarischen Kreisen erweckt: nicht nur, daß ihm nahezu ein Halbhundert Besprechungen ge- widmet worden sind, es wurde sofort nach seinem Erscheinen ins Englische übersetzt und ist seit vielen Jahren vollständig vergriffen. Zu einer Neu- auflageistesnicht gekommen, weil sich der frühere Verlag einer anderen Rich- tung, der Autor anderen dringlicheren Arbeiten zugewendet hatte. Dazu kam, daß die Edition der lateinischen Werke Wiclifs, die bei einer Neu- bearbeitung des Buches in Betracht gezogen werden mußten, sich lange hinauszog und schließlich während des Weltkrieges ganz eingestellt wurde.

Heute liegen die Dinge besser. Die Arbeiten der Wyclif-Society, an denen der Unterzeichnete am stärksten beteiligt war, denn nicht weniger als vierzehn Bände, und darunter die bedeutendsten Werke Wiclifs, wurden von ihm ediert, sind jetzt beendet. Viel neues Material ist hierdurch zutage gefördert und kritisch verarbeitet worden. Hierzu gehören vor allem die Studien zur englischen Kirchenpolitik im 14. Jahrhundert, die einerseits Wiclifs Auftreten als Reformator älterer Forschung gegenüber für eine spätere Zeit nachwiesen, anderseits den Nachweis lieferten, daß die hervor- ragendsten Werke Wiclifs aus jenen Kämpfen erwachsen sind, die sich inner- und außerhalb des guten Parlaments abgespielt haben. Dazu ge- hören weiterhin Studien über die Streitschriften Wiclifs, seine Sendschreiben usw. und deren Einwirkung auf Zeitgenossen und Spätere. Einiges aus diesen und anderen Einzelforschungen findet sich unten unter den Exkursen dieses Buches, die die Anfänge des Wiclifismus in Böhmen, die Beziehungen englischer zu den böhmischen Wiclifiten, die Auswirkung der Wiclifschen Predigten im hussitischen Kirchen- und Klostersturm und endlich das Festhalten des Taboritentums an den Lehren des unverfälschten Wiclifis- mus betreffen.

Ist nach dieser Richtung hin der Umfang des vorliegenden Buches etwas vergrößert worden, so konnten dagegen die zehn Beilagen, die die frühere Auflage enthielt, umso mehr bei Seite gelassen werden, als ihr wesentlicher Inhalt im Texte verarbeitet ist. Eine vollständige Umarbei- tung hat die zweite Hälfte des Buches ‚‚Der Wiclifismus in den Schriften des Huß‘“ gefunden, wo nunmehr die Gliederung eine sachgemäßere ist und die Ergebnisse der Wichfforschung vollständiger ausgenützt sind.

Graz am 6. Januar IQ25. J. Loserth.

Digitized by the Internet Archive in 2022 with funding from Kahle/Austin Foundation

https://archive.org/details/hussundwiclifzur0000lose

Inhalt.

Einleitung. Ältere und neuere Ansichten über das Verhältnis des Huß

zur Lehre und den Schriften Wiclifs

Erstes Buch.

Seite

Der Wiclifismus in Böhmen bis zu seiner Verurteilung durch das Konzil von Konstanz.

I.

a wH

Kapitel:

. Kapitel:

Kirchliche Zustände in Böhmen in der Zeit Karls IV. Arnest von Pardubitz und die böhmische Kirche

Die sogenannten Vorläufer der hussitischen Bewegung.

Der erste Abendmahlsstreit .

Der Wiclifismus in Böhmen. ET £ 80 Wiclifitische Strömungen und Gegenströmungen in den Jahren 1403—1409 6

Die Verbrennung der Bücher Wiclifs

Der Ablaßstreit in Prag 1412. e . here Huß in der Verbannung. Das Buch von der te TnlonsVersuche und endgültiger Sieg des Wiclifismus

Huß in Konstanz. Verurteilung des Wiclifismus

Zweites Buch. Der Wiclifismus in den Schriften des Huß.

Zur pastoralen Tätigkeit des Huß. . & . Seine Predigten und ihre Wiclifschen Deslen : 2. Die Expositio Decalogi des Huß und ihre Wiclifschen Gaelian Aus der akademischen Tätigkeit des Huß 2% 1. Sein Werk super IV. Sententiarum und dessen Wiclifsche Quellen 5 2. Der Traktat gegen Ren Bansttichen Ablaß art seine Onelien 3. Der Traktat des Huß De Ablacione temporalium a clericis . 4. Die Traktate »De Decimis« und die Verteidigung der 45 Artikel Wiclifs . DR RE 5. Contra Anglicum Johannem Stokes . 5 Die Streitschriften des Huß und ihre Quellen . Das Buch von der Kirche . E a) De Ecclesia und De Fide Cocholier b) De Potestate Pape .

19 29 57

72 86 IoI

113 120

131 131 140 144

144 148

154

158 160 161 161 161 165

VI Inhalt.

c) De Civili Dominio ee d) De Officio-Regis . „.... ee: e) Responsio ad argumenta een ei ee. f) De Ordine Christiano . g) De Paupertate Christi ee h) De Christo et adversario suo Antichristo : 1)EDesBlasphemTar re k) Der Trialogus ee 2. Die Schriften gegen Shan von ee Stanislaus von Znaim und die acht Doktoren . ..... 4. Kapitel: Sonstige Schriften des Huß ı. Der Traktat de Sex Erroribus . 2. De Oracione Dominica . Se. B EN: 3. Johannes Huß De Adoracione et contra en Adorasionen 4. Die Briefe des Huß. b - 5. » Einige Bemerkungen zur Russischen Tehre in En Verhältnis zu Wiclif .

Exkurse.

I. Zur Verbreitung der Wiclifhandschriften in Böhmen . 5 2. Über die Beziehungen zwischen englischen und böhmischen Wiclifiten in den beiden ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts . 3 08 3. Der Kirchen- und Klostersturm der Hussiten und sein Ursprung . 4. Ein kirchenpolitischer Dialog aus der Blütezeit des Taboritentums

Namen- und Sachregister

Einleitung.

Ältere und neuere Ansichten über das Verhältnis des Huß zur

Lehre und den Schriften Wiclifs.

Viele Jahrzehnte hindurch hat man in Böhmen Johann von Wiclif als fünften Evangelisten gefeiert.!) Noch in unseren Tagen wird er zu den vier größeren Scholastikern des 14. Jahrhunderts gezählt und teilt die Palme mit Duns Scotus, Okkam und Bradwardine.?) In der Tat ist er einer der reichsten Geister im alten England und der einzige in Wahrheit bedeutende Reformator vor der Reformation. Es ist merkwürdig genug: Man nennt ihn einen großen Philosophen und unseren Philosophen sind seine Werke so gut wie unbekannt; er wird für den größten Theologen seiner Zeit gehalten und bis in unsere Tage ‚moderten seine Werke im Staube?) jene, an denen sich einst die gebildete Welt in mehreren Ländern berauscht hat, sie waren ver- gessen oder wurden höchstens in Bibliotheken als Seltenheiten gezeigt. Für Böhmen hat alles, was seinen Namen in Erinnerung bringt, einen be- sonderen Reiz, denn er ist Jahre und Jahrzehnte hindurch das Panier ge- wesen, unter dem eine mächtige Partei ihre Kämpfe gekämpft hat: Was Johannes Huß an theologischem Wissen in seinen lateinischen und tsche- chischen Traktaten niedergelegt hat, das verdankt er dem Engländer, dessen Schriften er es nach fleißigem Studium entnommen hat. In den letzten Jahren seines Lebens erscheint er als der beredte Apostel des Wiclifismus und wüßte man nicht, daß er auch nach anderen Seiten hin als nach der theologischen eine Rolle gespielt hat, so müßte man sagen, daß er als Lollarde am 6. Juli 1415 den Scheiterhaufen bestiegen hat.

Das Verhältnis zwischen ihm und seinem Meister an der Hand der Schriften des einen und anderen darzulegen, ist die Aufgabe der folgenden

1) Apologie des Johannes Pribram in den Geschichtsschreibern der hussitischen Bewegung, 2, 140: Et postquam temerarie hodie moderni plurimi sic volunt sentenciis omnibus Wikleph immorari et quasi quinto evangeliste inniti.

2) Shirley, Fasciculi zizanniorum London 1858, p. LI.

2) Über die Arbeiten der Wyclif-Society seit 1884 s. die Historische Zeitschrift, 53, 62, 75, 95 und 116. Ebenso die Zeitschrift des deutschen Vereins für die Geschichte Mährens und Schlesiens, 2I, 258—271.

4) Historia Bohemica, cap. 35.

Loserth, Huß und Wiclif. I

RS

Blätter.. Hussens Zeitgenossen ist dies Verhältnis nicht unbekannt gewesen. Sie kannten entweder Wiclifs Schriften oder haben hierüber von solchen vernommen, die mit seiner Lehre vertraut waren. Vielleicht hat man, eben weil dies Verhältnis bekannt war, wenig darüber geschrieben und so sind Stimmen wie die John Stokes’, der in Konstanz die hussitische Lehre als reinen Wiclifismus bezeichnete, ungehört verhallt. Als dann die Kennt- nis der Werke Wiclifs abnahm und das Hussitentum auf die Höhe seiner Macht gelangte, trat neben Hussens Persönlichkeit die seines Meisters in den Hintergrund und bald galt die hussitische Lehre mehr oder minder als original. Inwieweit dies der Fall ist, kann nur durch einen Vergleich der Schriften Wiclifs mit’ jenen des Huß ergründet werden. Hieran hat es bisher gefehlt. Faßt man ältere Werke über böhmische Geschichte ins Auge, so findet man bei einigen trotz mehrfacher Irrtümer im einzelnen eine ziemlich richtige Darstellung des Sachverhaltes. Man wird aus Enca Silvio erfahren, daß ihm außer jenen Materialien, die ihm von böhmischer und schlesischer Seite zur Verfügung gestellt wurden, auch Aktenstücke des Konstanzer Konzils vorlagen, als er seine Böhmische Geschichte schrieb: Im ganzen ist seine Grundanschauung von der Genesis des Hussitentums richtig. Auch Cochlaeus weiß noch zu sagen!), daß der Wiclifismus aus England, wo er zu keinem Gedeihen gelangte, nach Böhmen übertragen wurde, wodurch die katholische Kirche so große Verluste erlitt, daß sie sich Cochlaeus schreibt im Jahre 1534 in Böhmen nicht wieder. er- holen konnte. Irrige Angaben finden sich in den Werken eines Hajek von Liboczan?); Zacharias Theobald®?) und bei Dubravius.*) Inmerhin leitet letzterer all das über Böhmen hereingebrochene Elend von der Kenntnis der Alithia Wiclifs gemeint ist der Trialogus her.

Ähnliche Ansichten finden sich bei Balbin und Pessina von Czecho- rod5). Bei den Späteren wird der Einfluß des Engländers auf die böhmische Bewegung geringer angeschlagen.

Weder in seiner Geschichte Böhmens noch in der König Wenzels gibt Franz Martin Pelzel eine Andeutung über Hussens Verhältnis zur Lehre Wiclifs.6) Was Huß gelehrt, gilt hier als sein geistiges Eigentum, und die Chronologische Geschichte Böhmens von Pubitschka wiederholt die

1) Historia Hussitarum, 7: Certe quod haeresis ex Anglia... in Bohemiam ... inducta fuit.

2) Böhmische Chronik, übersetzt von Sandel, 647 ff.

3) Bellum Hussiticum (Francofürti 1621), 1ff.

4) Historia Bohemiae, 23 lib. 139.

5) Balbin, Epitome hist. Boh. ad annum 1400. Pessina, Mars Moravicus lib. IV, cap. 4, 453-

6) Geschichte von Böhmen, Prag 1774, 214. Lebensgeschichte des römischen und böhmischen Königs Wenzeslaus, 2, 479ff. ?

A DE

Fabeleien eines Hajek, und wenn Pubitschka Hussens Lehrsätze im Buch von der Kirche vorträgt, hält er sie für dessen ureigene Meinungen.

In seinen letzten Lebensjahren hat sich Palacky über die Sache fol- gendermaßen geäußert!): ‚Inwiefern die Lehre, die Huß vortrug, nicht sein eigen, sondern Wiclifs Lehre gewesen, werde ich nicht untersuchen, sondern Theologen vom Fach zu entscheiden überlassen. Ich gestehe, ich habe Wiclifs Schriften niemals gelesen, und es wird mir schwer, meine Ab- neigung gegen jeden theologischen Streit zu überwinden. Ich weiß auch; daß Huß auf Originalität seiner Lehre keinen Anspruch machte und daß esihm darum zu tun war, nicht etwas Neues und noch Unerhörtes, sondern nur recht viel Wahres und Heilsames zu sagen. Ob Wiclifs Lehre einen ganz überwältigenden Einfluß auf Huß geäußert, ob dieser sich unbedingt an Wiclif angeschlossen hat, sind Fragen, die kaum jemand bejahen dürfte.“ In einem älteren Werke?) hatte Palacky allerdings Huß als einen der eifrig- sten Förderer Wiclifscher Lehren an der Prager Universität bezeichnet, der sich sogar in der Frage über die Abendmahlslehre eine Zeitlang schwan- kend erwiesen habe. Im allgemeinen hat sich Palacky mit den Ansichten Neanders und Böhringers beruhigen zu müssen geglaubt.

Neander schlägt den Einfluß Wiclifs auf Huß nicht sonderlich hoch an.3) Höher stellt er den der Schriften des Matthias von Janow. Wie weit dies Urteil gerechtfertigt war, läßt sich heutzutage, wo das Hauptwerk des Matthias von Janow gedruckt vorliegt, genau übersehen. Es ist kaum der Rede wert, was Huß daraus übernommen hat®), wenn man die Einzellehren, ganze Predigten und Traktate Wiclifs dagegen hält, die er wortgetreu von Wiclif entlehnt hat. Übrigens konnte man schon aus den seit lange bekannten Proben von Janows wahrem und falschem Chri- stentum °) ersehen, daß dieser keineswegs nachhaltig auf die reformatorische Entwicklung. Hussens eingewirkt hat. Man wird eher bemerken, daß da, wo beide ähnliche Gegenstände behandeln, Huß sich an seinen englischen, nicht an den böhmischen Vorgänger anschließt. Neander findet in den Prinzipien Janows den Keim der ganzen reformatorischen Bewegung in Böhmen, aber viele Sätze Hussens, in denen man Anklänge an Matthias von Janow zu finden vermeint hat, sind aus Wiclif entlehnt. Als merk- würdig muß daher die Tatsache festgestellt werden, daß ein so sorgfältiger

1) Die Geschichte des Hussitentums und Professor Constantin Höfler, 113.

) 2) Gesch. von Böhmen, 3, I, 190, I95, 198.

8) Allg. Geschichte der christl. Religion und Kirche, 6. Bd., herausg. von Schneider, 317.

4) Eine längere Stelle hat Selläk, Jan Hus, S. 72—73, Not. 5, ausgehoben.

3) S Palacky, die Vorläufer des Hussitentums in Böhmen, NA. 51, vgl. 58—81. Wie wenig der Standpunkt Janows einem Manne wie Huß genügen konnte, hat

Palacky S. 126, in vortrefflicher Weise auseinandergesetzt. ı*

Be ar ehe

Forscher wie Neander nicht bereits die wahren Quellen von Hussens Lehren aufgesucht hat. Schon da, wo Huß den Begriff der Kirche erklärt, nimmt er seinen Ausgang nicht etwa von Augustinus, sondern von Wiclif. Wenn Neander meint, daß es für den theologischen Entwicklungsgang des Huß besonders wichtig war, daß er neben dem Studium der Bibel, der alten Kirchenlehrer, namentlich des Augustinus, auch die Schriften eines Robert von Lincoln gekannt und studiert habe, so ist zu bemerken, daß Huß einzelne der Autoren, die Neander anführt, nicht aus deren Werken selbst, sondern nur aus den Zitaten Wiclifs kennt. Und das gilt in erster Linie von Robert von Lincoln, läßt sich aber auch von anderen Schriftstellern nachweisen.

Trotzdem sind die Ausführungen Neanders ohne weitere Prüfung von Krummel!) übernommen worden, der die hussitische Bewegung nicht als ein von außen her nach Böhmen verpflanztes Gewächs ansieht, sondern als ein solches, das seine Wurzeln ebendaselbst gehabt und seine Lebens- kraft aus sich selbst geschöpft hat. Das Konstanzer Konzil habe die sog. hussitische Ketzerei lediglich als einen Wurzelschößling der Wiclifschen angesehen und verdammt. Diese bis in die neueste Zeit weit verbreitete Meinung sei indes nicht nur dadurch widerlegt, daß Huß in ganz selb- ständiger Weise und bevor er noch die theologischen Schriften Wiclifs kannte, zu seinen reformatorischen Ideen gekommen ist, sondern auch und hauptsächlich dadurch, daß in Böhmen schon zu der Zeit eine spezifisch reformatorische Bewegung vorhanden war, als Wiclifs Schriften noch kaum über England hinausgekommen, zum mindesten noch nicht in Böhmen bekannt gewesen sind. Seine Schriften seien nachweislich erst im letzten Jahrzehnt des 14. und in den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts in Böhmen verbreitet worden. Sie haben wesentlich zu einer beschleunigten Förderung der hussitischen Lehre mitgewirkt, seien aber nicht die treibende Ursache ihrer Entstehung gewesen. Ohne auch nur den Versuch zu machen, Hussens und Wiclifs Schriften einer Vergleichung zu unterziehen, versteigt sich Krummel zu der Behauptung, Huß habe sich sein Leben lang vielen wich- tigen Lehrsätzen Wiclifs niemals angeschlossen. Erst später hätten sich sämtliche Wiclifschen Lehren durch den Engländer Peter Payne unter einem Teile der Hussiten Geltung verschafft.

Wie bedeutend Wichfs Einfluß auf Huß gewesen, hatte schon acht Jahre vor Krummel Böhringer scharf genug betont. Daß mit der Ver- urteilung Wiclifs als eines Ketzers im Grunde auch über Hussens Sache und Person vor allem Verhör entschieden war, hebt Böhringer mit Recht hervor. Er findet nicht wenige Analogien zwischen der Lehre Hussens

1) Geschichte der böhmischen Reformation im 14. und 15. Jahrh., 99, 123. S, Historische Zeitschrift, 17, I—II. 2) Die Vorreformatoren des 14. und I5. Jahrh., 2. Hälfte, 458, 604.

ee

und jener Wiclifs: „Das heilige Feuer ging von Oxford nach Prag über, und Prag setzte die Aufgabe fort, welche Oxford entzogen ward, ein Satz, der allerdings insofern nicht zutrifft, als Huß bekanntlich in wesentlichen Punkten, so in der Abendmahlslehre, den Weg der katholischen Kirche nicht verlassen hat, um jenen Wiclifs endgültig zu betreten. Doch hat Böhringer die eigentümliche Richtung tschechischer Professoren in Prag er bezeichnet sie auch als die nationalböhmisch-freisinnige mit Recht als eine Wiclifsche bezeichnet. Er hat an mehreren Stellen die Beobach- tung gemacht, daß sich Huß ‚‚fast‘‘ in den Worten Wiclifs ausdrücke, Die Gründe, die Huß zur Verteidigung der Schrift Wiclifs über die Drei- einigkeit anführt, erinnern ihn an die Rechtfertigung der ‚armen Priester‘, wie sie Wiclif gegeben, und an die Art, wie dieser das Recht der freien Predigt denen gegenüber, die Gottes Wort binden wollten, verteidigt hat. Daß Huß ganze Traktate Wiclifs oder die vornehmsten Argumente daraus aus Wiclifschen Schriften genommen, darauf ist freilich auch Böhringer nicht gekommen. Schon da, wo er Hussens Erklärung der Sündenvergebung bespricht, hätte er bemerken können, daß sie mit jener Wiclifs wörtlich übereinstimmt. Nur Anklänge an Wiclif findet er in einem Traktate, der nahezu gänzlich mit dessen Worten prunkt. Daß König Sigismund mit seiner Äußerung: „Wahrlich, ich war noch jung, als diese Sekte in Böhmen entstand, und siehe, zu welcher Stärke ist sie seitdem emporgewachsen, nicht wie Böhringer meinte, auf die sog. Vorläufer Hus- sens, sondern auf die böhmischen Wiclifiten zielte, wird bei dem streng katholischen Standpunkt dieser Vorläufer begreiflich erscheinen. Man hätte erwarten dürfen, daß Hefeles Konziliengeschichte auf die Sache eingehen würde. Wiewohl er Hussens Streitschrift von der Kirche zer- gliedert, entgeht es ihm und so auch Czerwenka in seiner Geschichte der evangelischen Kirche in Böhmen, daß in dieser und den Streitschriften gegen Stanislaus von Znaim und Stephan von Palecz nur einige polemische Äußerungen Hussens gegen diese seine Widersacher als sein geistiges Eigen- tum bezeichnet werden können.!)

Ganz irrige Ansichten finden sich in den meisten älteren Handbüchern der Kirchengeschichte, so in dem Ritters?), wo Huß Werke zugeschrieben werden, deren Autor er nachweislich nicht gewesen, sowie auch die Ab- fassungszeit anderer irrtümlich angegeben ist. Was Hussens Hauptwerk De Ecclesia betrifft, sei Wahrheit und Irrtum darin so kunstreich ineinan- der verflochten, daß die große Menge auch den Irrtum für Wahrheit nehmen mußte. Die Irrtümer, auf Grund deren Huß als Ketzer verdammt wurde,

!) Czerwenka betont vornehmlich Hussens Abhängigkeit von Janow. Was Huß aus dessen Werken entnommen hat, ist in dem Buche Sedläks vermerkt.

2) 2. Bd., 6. Aufl., herausgegeben von Ennen, 114f.

en

werden zwar von Ritter angeführt, die Frage, inwieweit sie tatsächlich von Huß herrühren, ist von ihm nicht berührt worden.

Auch Wessenberg räumt!) den Vorläufern einen breiten Raum ein. Er läßt sogar Milicz von Kremsier und Matthias von Janow bereits die Notwendigkeit erörtern, den Laienkelch wieder herzustellen. Der Einfluß, den das Studium der Schriften Wiclifs auf Huß gehabt, wird jedoch kaum berührt und nur leise die Ähnlichkeit der Lehrsätze des Huß mit jenen Wiclifs angedeutet. Eine Analyse des hussitischen Lehrgebäudes wird zwar nach Hussens Traktat von der Kirche zu geben versucht, daß dies aber nur Lehren des Engländers enthält, hat Wessenberg nicht erkannt.

Ganz unkritisch sind die Ausführungen in den kirchengeschichtlichen Werken eines Lenfant?), Royko®), Marmor®) und selbst Tostis°®), des ge- lehrten Abtes von Monte Cassino. Dessen Buch in seiner deutschen Be- arbeitung von Arnold steht ganz auf den Schultern Helferts. Unter den verschiedenen Monographien über Huß ist daher jene Helferts an erster Stelle zu nennen.

Sie schlägt den Einfluß von Wiclifs Schriften auf ihn außerordentlich gering an, ja in dem Sinne, den wir damit verknüpfen, wird er überhaupt geleugnet. Es lasse sich sagen®), daß die reformatorische Opposition, die Wiclif in Schriften und vom Lehrstuhl herab gegen die kirchliche Ordnung unternommen hatte, sich auf seine Person beschränkte und mit ihm zu Grabe ging. Es sei schwer zu fassen, wie eine Lehre, die im Lande ihres Entstehens selbst ohne nachhaltige Folgen vorüberging, auf einem anderen Boden, in den sie als fremdländisches Gewächs verpflanzt worden, so tiefe Wurzeln habe schlagen, zu so unheilvoller Reife habe gedeihen können. Bei näherem Eingehen falle daher jene Behauptung in die Kategorie des oberflächlichen post hoc, ergo propter hoc. Trotzdem stellt Helfert nicht in Abrede, und damit stößt er die eigene Ansicht zum Teil wieder um, daß die Bekanntschaft mit den Wiclifschen Lehrsätzen erheblichen Anteil an dem Ausbruch und der Erstarkung der kirchlichen Bewegung in Böhmen hatte. Ohne in eine Widerlegung dieser Ansicht schon an dieser Stelle einzugehen, muß doch von vornherein bemerkt werden, daß Hussens Schriften nicht etwa „eine Bekanntschaft mit den Wiclifschen Lehrsätzen zeigen‘, sondern in Wirklichkeit die einen ganz, die anderen zum größten Teile Wiclifs

l) Die großen Kirchenversammlungen des ı5. und 16. Jahrh., 2, 121.

2) Geschichte des Hussitenkrieges, ı, 13{f.

3) Geschichte der allgemeinen großen Kirchenversammlung zu Kostnitz, ı, ı3ff.

4) Konzil von Konstanz, 17.

5) Geschichte des Konziliums von Konstanz, aus dem Italienischen übersetzt und bearbeitet von Arnold, 146ff.

6) Hus und Hieronymus, 34.

Te

vollständiges Eigentum bilden und von einer originalen hussitischen Lehre sonach nicht gesprochen werden sollte.

- Helfert ist der Ansicht, daß auch in dem Falle, daß die Werke des Oxforder Gelehrten unter den Prager Magistern nicht bekannt worden wären, dennoch die Spaltung in den Ansichten über Kirchenregiment und kirchliche Ordnung sowie das Entbrennen des gewaltigen Kampfes, der die unaufhaltsame Folge davon war, in Böhmen nicht ausgeblieben wären; denn diejenigen Sätze, die den hervorragendsten Anteil an dem Abfall Böhmens von der kirchlichen Einheit hatten, wie die Darstellung des Papstes als Antichrist, die Reformen in dem Genuß des Altarsakraments, die An- griffe gegen die weltlichen Besitzungen der Geistlichkeit wiederhallten bereits in den Reden des Milicz von Kremsier und in dem großen Werke Janows, der bereits den Genuß des Abendmahls unter beiden Gestalten verteidigte. Das ist durchaus irrig. Sieht man genauer zu, so wird man finden, daß der Antichrist des Milicz etwas anderes bedeutet, als jener Wiclifs oder der des Huß. Den Papst hat Wiclif in seinen Schriften nur bedingungsweise als Antichrist bezeichnet und Huß ist ihm hierin gefolgt. Beide machen nämlich bei dem Satze eine Einschränkung, die nicht zu übersehen ist.) Was die Reformen in bezug auf den Genuß des Altar- sakramentes betrifft, so bewegen sich auch diese in den Tagen der sog. Vorläufer auf dem Boden der Kirche: Das Abendmahl unter beiden Ge- stalten ist in Böhmen vor dem Jahre 14I4 von niemandem verteidigt worden. Bei den Abendmahlsstreitigkeiten handelte es sich lediglich um die Frage des oftmaligen oder selbst täglichen Empfanges der Kommunion. Wir vermögen das Wesentliche im Hussitismus demnach nicht schon in der Lehre und dem Wirken der Vorläufer zu erblicken, sondern in der Ver- pflanzung der Wiclifie?), die in den für ihre Entwicklung günstigsten Mo- menten in Böhmen auftritt.

Wenn man den Einfluß der Vorläufer auf Huß erforschen will, suche man in Hussens Schriften nach. Kaum daß sie einmal, sicher aber nicht in einer seiner Reformationsschriften genannt werden. Ein oder der andere Satz Janows findet sich in seinen Schriften, wogegen er ganze Traktate Wiclifs zu den seinigen gemacht hat. Und ebenso scheint auch die persön- liche Anregung, die er von den Vorläufern erhalten hat, nicht besonders stark gewesen zu sein, denn wiewohl schon diese gegen die Indulgenzen gesprochen der Pfarrer von St. Martin in der Prager Altstadt nannte

2) S. meinen Aufsatz über Wiclifs Lehre vom wahren und falschen Papsttum, Hist. Zeitschr., 99. B., S. 237— 255.

2) Dieses Wort wird von den Zeitgenossen des Huß sowohl im Lateinischen als auch im Deutschen gebraucht: Et tunc mox Wiclefia coepit invalescere. Ge- schichtsschr. der hussitischen Bewegung, 2, 73. Palacky, Urkundliche Beiträge zur Gesch. der Hussitenkriege, ı, 16, ‚daß er der Wiclefie entweiche‘.

AO

im Jahre 1392 den Ablaß Betrug!) opferte Huß in demselben Jahre noch gläubig seine letzten vier Groschen, um des Ablasses teilhaftig zu werden.?) Hussens spätere Lehre vom Ablaß ist die Wiclifs. Nicht ein Wort hat er daran geändert.

So vorbereitet als in Böhmen für eine Reform der Kirche war der Boden auch in anderen Ländern Europas vor der Konstanzer Versammlung, von der man die Reformation erwartete. Ja, einzelne Männer, wie Pierre d’Ailli®) und Gerson, gehen in ihrer Opposition gegen die in der Kirche vorhandenen Übelstände viel weiter als die Vorläufer. Gleich Wiclif behauptet jener, daß nicht der Papst, sondern Christus das Fundament der Kirche bilde, und daß jede Behauptung töricht sei, die sich nicht aus der hl. Schrift ableiten lasse. Und von dem Predigtamte hat Gerson®) wohl ebenso hohe Begriffe gehegt als Wiclif. Die Worte eines Matthäus von Krakau gegen die Übel- stände in der Kirche sind ebenso freimütig, die eines Nikolaus von Cle- mengis, viel schärfer noch als jene des Huß. So schneidig wie Clemengis hat dieser zu keiner Zeit gegen die Lasterhaftigkeit des Klerus gepredigt.°) Freilich in solcher Weise wie in Frankreich haben die böhmischen Eiferer den Reformgedanken überhaupt nicht angefaßt und darin und zugleich in der umfassenden Gelehrsamkeit der französischen Theologen liegt der Unter- schied zwischen ihnen und den einem gleichen Ziele zustrebenden Reform- freunden in Böhmen.

Friedrich erkannte deutlich®), daß Hussens Lehre keineswegs origi- nell, sondern nur ein Bekenntnis ‚‚fast aller“ Sätze Wiclifs ist. Er führte aus, daß der Wiclfismus nicht als fertiges System, sondern in kühnen, selbst widerspruchsvollen Behauptungen auftrat, dabei aber einen Angriff auf die Kirche und ihre dogmatischen Bestimmungen in sich schloß, wie etwas ähnliches noch nicht dagewesen war.

Von einem fertigen System des Wiclifismus läßt sich allerdings nicht sprechen, wenn man bedenkt, daß Wiclifs Opposition gegen die mittelalter- liche Kirche, aus politischen Motiven entsprungen, nicht bloß bis an sein Lebensende angedauert, sondern auch immer schärfer geworden ist.

1) Discurrebant dempto uno puta magistro Wenceslao dicto Rohle pro tunc plebano ecclesie sancti Martini maioris civitatis Pragensis, qui non indulgencias sed decepciones appellabat. Chron. univ. Prag. ad annum 1392.

2) Allerdings angeeifert durch den ‚Vorläufer Stekna‘‘. Et pro tunc magister Johannes Hus nondum presbyter deceptus frivole per tales exhortationes in Wisse- grado confessus, ultimos quatuor grossos, quos habuit, confessori assignando, non habuit nisi panem siccum ad manducandum, qui tamen factus presbyter et predicator (d.h. als er Wiclifs Werke kennen lernte) multipliciter doluit.

3) Tschakert, Pierre d’Ailli, 17,

*) Schwab, Johannes Gerson, 376.

5) Von der Hardt, Acta concilii Constantiensis, 1. pars, 3. cap., 17, 18, 22, 32 etc. 6) J. Friedrich, Joh. Hus. Ein Lebensbild. ı. Abteilung: Johann Hus, der Feind der Deutschen und des deutschen Wesens, 13.

SUNIgn

Trotzdem Friedrich den Wiclifschen Ursprung der Lehren des Huß behauptet hat, spricht er doch später!) von den Irrlehren des Huß, nennt namentlich die Lehre von der unbedingten Prädestination eine hussitische, wiewohl sie Huß wortgetreu aus den Schriften Wiclifs übernommen hat. Man erkennt daraus, daß sich auch Friedrich über das wahre Verhältnis des Huß und seiner Anhänger zu den Lehren Wiclifs nicht völlig klar ge- worden ist. Nur so ist es auch zu verstehen, wenn er mit Lebhaftigkeit aus- ruft?): Es ist allerdings wahr und wir leugnen dies keinen Augenblick: Die neue Zeit brach mit Johann Huß, nicht erst mit Luther an. Das ist aber ungefähr das Gegenteil von dem, was Friedrich selbst über die Origi- nalıtät des Hussitismus behauptet hat.

Mehrfache Irrtümer finden sich in den Monographien von Lüders?), Becker®), und Bonnechose.) Daß Huß aus den Schriften des Wiclif mannigfache Anregung und Förderung gewann, betonen sie insgesamt, doch kennzeichnet sie sämtlich mehr oder minder großer Mangel an Kritik.

Als der bedeutendste Vertreter der Wiclifschen Richtung ist Huß von W.Berger bezeichnet worden.®) Auf das, was in Hussens Schriften auf Wiclif zurückzuführen und was des böhmischen Magisters geistiges Eigen- tum bildet, ist Berger allerdings nicht eingegangen. Doch wird betont, daß Huß, seitdem er einmal mit Wiclifs philosophischen Schriften bekannt wurde, von ihnen Zeit seines Lebens gefangen gehalten blieb. Gegenüber der enthusiastischen Art, in der Krummel von der hohen geistigen Bedeu- tung des Huß spricht, hat Berger mit Recht bemerkt, daß die Bildung des Huß sich nicht über das gewöhnliche Maß jener Zeit erhob. Namentlich hat sich Berger gegen das, was von der klassischen Durchbildung Hussens gesagt wurde, ganz ablehnend verhalten. Es mag immerhin zugegeben werden, daß Huß, wie Berger nach Schwab annimmt, auf die Lektüre des gratianischen Dekretes besonderen Fleiß verwendet habe, nur kann man

1) 2. Abt.: Johann Hus als Reformator und seine Verurteilung, 5ff. a) Irr- lehren des Hus. Die Lehre von der Prädestination hat Wiclif in verschiedenen seiner Schriften vorgetragen. S. darüber weiter unten.

2) ı. Abt.: 5. Während Huß bis auf einen oder zwei Lehrsätze ein getreuer Jünger Wiclifs ist, heißt es da 5 (2. Abt.): Huß hat Hand an die Kirche gelegt, er hat eine andere Kirche gründen gewollt; er hat Lehren und Grundsätze proklamiert, die der ehristlichen Wahrheit zuwiderlaufen; es wird nun von einem System des Huß gesprochen usw.

?) Johann Hus, Cüstrin 1854.

*) Die beiden böhmischen Reformatoren Hus und Hieronymus von Prag, Nörd- lingen 1858.

5) Joh. Hus und das Konzil von Kostnitz. 3. Aufl., Leipzig 1871. Eine in eini- gen Punkten richtige Anschauung über das Verhältnis des Huß zu Wiclif findet man bei Aschbach, Gesch. des Kaisers Sigismund, 2, 21. Vgl. dagegen ııı, wonach sich die Lehrsätze des Huß von denen Wiclifs wesentlich unterscheiden.

6) Johannes Huß und König Sigmund, Augsburg 1871, 37 A., 165.

das aus Hussens Schriften sehr schwer entnehmen, da, wie bemerkt, die ein- zelnen von ihm zitierten Stellen nur mittelbar, und zwar durch Wiclif aus dem gratianischen Dekrete genömmen wurden. Was von der klassischen Ausbildung des Huß gesagt wurde, gilt, wie Berger bemerkt, auch von seinen medizinischen und naturwissenschaftlichen Kenntnissen und auch von der des Hebräischen. Wir vermuten, daß auch seine linguistischen Versuche auf das englische Beispiel zurückführen. Nach allen diesen Seiten bietet Wiclifs erst jetzt gedrucktes Werk De Mandatis Divinis beachtenswerte Gesichtspunkte.

Aber auch bei Berger erscheint noch vieles als geistiges Eigentum des Huß, was durchaus von Wiclif herrührt. Wenn es da heißt, daß Hussens Vortrag gegen die päpstliche Bulle unter seinen erhaltenen und echten Schriften die vorzüglichste Arbeit und in ihrer Art ein Muster scharfsinniger und schlagender Beweisführung ist, so wird man dagegen sagen müssen, daß diese Beweisführung nicht Huß, sondern Wiclif geliefert hat. Eine richtigere Ansicht über das Verhältnis des Huß zu diesem hat Schwab in seiner Monographie über Johannes Gerson!) geäußert. Zwar kann man ihm nicht zugeben, daß Huß die meisten seiner den Kirchenvätern entnommenen Belegstellen aus dem Dekrete genommen und daß er nur Gregors, Augustins und Bernhards Schriften, wie einzelne Äußerungen in seinen Predigten ver- muten lassen, vollständiger gekannt habe, vielmehr läßt sich erweisen, daß er jene aus dem Dekret stammenden Stellen der überwiegenden Mehr- heit nach gleichfalls aus den Schriften Wiclifs genommen und daß auch jene Zitate aus Gregor, Augustin und Bernhard nicht unmittelbar aus deren Werken, sondern aus Wiclif entlehnt sind. Um in dieser Beziehung vollständige Klarheit zu erlangen, muß man nicht Schriften und Bücher, wie De Christo et suo adversario Antichristo oder den Trialogus zu Hussens Traktat De Ecclesia halten, sondern die gleichnamige Abhandlung Wiclifs selbst. Gleichwohl hat schon Schwab mit Recht hervorgehoben, daß Neander geneigt ist, Huß eine größere Bedeutung zu geben, als ihm zu- komme, namentlich hat er bereits einzelne Stellen aus dem Traktate De Ecclesia als das geistige Eigentum Wiclifs erklärt. Allerdings wird sich noch vieles andere, was Schwab noch als echt hussitisch anerkennt oder wo er den Einfluß Wiclifs als zweifelhaft bezeichnet, in den unten folgenden Beweisstücken als echt wiclifitisches Eigentum herausstellen. So hat z. B., um nur einen Fall herauszuheben, die Anschauung Wiclifs über den Ablaß tatsächlich auf Huß eingewirkt ein Umstand, den Schwab als zweifelhaft hinstellt; ja Huß hat selbst den Begriff des Ablasses mit denselben Worten erklärt wie Wiclif.

l) Schwab, Johannes Gerson, Professor der Theologie und Kanzler der Uni- versität zu Paris, 550ff.

Be ee

Noch deutlicher und sachgemäßer ist das Urteil, das Schwab in dem Vorwort zu seiner Monographie über diese Dinge ausgesprochen hat. So, wenn er sagt, daß die große Bedeutung, die Huß noch von Böhringer bei- gelegt werde, ihm nicht gebühre. Huß selbst sei ja in Konstanz bemüht gewesen, die für die kirchliche Ordnung destruktiven Konsequenzen, die aus seinen im Anschluß an Wiclif gestellten Behauptungen gezogen wurden, durch Erklärungen zu heben, die eine Übereinstimmung mit dem kirch- lichen Standpunkt herbeiführen sollten. Und von Wiclif wird mit Recht gesagt, daß er bezüglich der Reformation des 16. Jahrhunderts von größerer Wichtigkeit ist, als bisher von Seiten der protestantischen Theologie im allgemeinen zugegeben wurdet), denn es finde sich bei Wiclif nicht bloß das Schriftprinzip vollständig entwickelt, sondern, implicite wenigstens, auch das von der Rechtfertigung durch den Glauben.

Immer aber, meint Schwab, bleibt der Standpunkt des Huß von jenem Wiclifs in wesentlichen Punkten verschieden. Es ist mit Ausnahme der Lehre von der Kirche beinahe nur die reformatorisch-ethische Seite Wiclifs, die er sich aneignen wollte. Diese Ansicht wird sich nach einem Vergleich der beiderseitigen Schriften nicht aufrecht erhalten lassen.

Wenn sich sonach in den Ausführungen Schwabs über Wiclif und Huß manches Irrige findet?), so war das bei dem seinerzeitigen Mangel einer Gesamtausgabe von Wiclifs Werken leicht erklärbar.

Auch Tschackert hat in seinem ausgezeichneten Buche über Petrus von Ailli über verschiedene Lehrsätze Hussens gesprochen, die in Wirklichkeit Wiclif angehören. So, wenn es heißt?): Man hatte auf dem Konzil zuerst mit aller Schärfe Hussens Prädestinationslehre in ihrer Anwendung auf den Kirchenbegriff ins Auge gefaßt: Die Kirche ist die Gesamtheit der Präde- stinierten und nur als eine solche bildet sie einen Artikel des Glaubens. Dieser eine Grundsatz stieß den ganzen Bau der hierarchischen Kirche und damit das Recht des Konzils um. Aber erst bei der Verlesung des 12. Ar- tikels, daß die päpstliche Würde von den Kaisern herstamme, interpellierte d’Ailli den Angeklagten. Der eine und der andere Artikel gehören bekannt- lich ganz und gar Wiclif an, der seine Prädestinationslehre zu wiederholten- malen entwickelt hat und dem sie Huß samt ihrer Anwendung auf den

1) Ohne auf dies Kapitel an dieser Stelle näher einzugehen, möge doch wenig- stens bemerkt werden, daß das no popery, das in England so lange das Stichwort starker Parteien war, im 14. Jahrh. nicht weniger laut ertönte als im 16. und 17., und daß die Entwicklung dieser Seite protestantischer Polemik noch nicht genügend aus den Quellen heraus untersucht worden ist. Das gleiche gilt von der Frage der Säkularisierung des englischen Kirchengutes.

2) Ich finde, daß Huß sich auch über den Glauben nicht anders ausdrückt, als Wiclif.

3) Petrus von Ailli, Zur Geschichte des großen abendländischen Schismas und der Reformkonzilien von Pisa und Konstanz, 225ff, 231.

DEERF I TB

Kirchenbegriff entlehnt hat. Die Sätze: Heilige katholische Kirche ist nur die Gesamtheit derer, die nach Gottes ewigem Rat wirkliche Glieder des mystischen Körpers Christi sind, dann daß die hl. Schrift allein die Norm des christlichen Glaubens sei, daß die würdigen Priester einander gleich- stehen und die Gewalt, Sakramente zu spenden, von Christus unmittelbar haben, und andere werden Huß zugeschrieben, während sie Wiclif entlehnt sind. Geschieden also, heißt es bei Tschackert weiter, hatte Huß in echt reformatorischem Sinne zwischen der wahren Kirche Christi und der in Wirklichkeit vorhandenen, aber zugleich die sakramentale Gewalt des Priesters durch seine religiös-sittliche Würdigkeit bedingt sein lassen. An allen diesen Stellen wird man statt des Namens Huß jenen Wiclifs einsetzen oder mindestens die Quelle von Hussens Lehren kenntlich machen müssen. Ganz richtig hebt jedoch Tschackert hervor, daß Peter von Ailli und Huß darin übereinstimmen, daß der Fels, auf dem die Kirche gegründet ist, Christus selbst sei; doch auch dieser Satz gehört Huß nicht eigentüm- lich zu, sondern findet sich in verschiedenen Abänderungen in einzelnen Schriften Wiclifs.

Viel höher hat Höfler den Einfluß Wiclifs auf Huß angeschlagen, es aber unterlassen, für seine Behauptungen die entsprechenden Beweisstellen anzuführen, und so ist es gekommen, daß auch nach Höfler dieser Einfluß ebenso lebhaft bezweifelt oder geradezu geleugnet wurde, wie ihn dieser behauptet hat. Wohl trug, sagt Höfler!), Huß selbst Schuld an der Ver- wirrung der Begriffe, die in betreff seiner herrschten. Er nahm beständig Wichf in Schutz, empfahl seine Lehre den Studenten, disputierte öffentlich, um die Rechtgläubigkeit Wiclifs nachzuweisen, verlangte aber, während er sich so fort und fort mit Wiclif identifizierte, daß man ihn für keinen Wiclhifiten halte. Man erkennt, daß Höfler eine äußere Beglaubigung für die Wiclifie Hussens im Auge hat; aber die betreffenden Zeugnisse rühren doch meistens von dessen Gegnern her. Die eigentlichen Beweisstellen, daß Huß, wie sich Hausrath derb ausgedrückt hat?), seine ganze Theologie aus Wiclif gestohlen, fehlen. Daher haben auch Höflers Schriften niemanden zu überzeugen vermocht. Man hat höchstens den Eindruck gewinnen können, daß sich Huß bloß ‚‚auf die Lehren des Engländers Wiclif gestützt‘, ‚sich an ihn angeschlossen“ und daß ‚ihm auch andere Führer der tschechischen Nation auf diesem Gebiete gefolgt seien“.

Man durfteerwarten, daß Gotthard Lechler, der ausgezeichnete Kenner der Lehre Wiclifs wie jener des Huß, die Frage endgültig lösen werde. In

1) Geschichtsschreiber der hussitischen Bewegung, 3, 90, I, XVII u.a. Vgl. dazu Höfler, der Magister Johannes Hus und der Abzug der deutschen Professoren und Studenten aus Prag, 159ff.

2) Hausrath, Höflers Entdeckungen in Mladenowitz in der Hist. Zeitschr., 6, 18.

ER

der Tat ist Lechler dem Sachverhalt am nächsten gekommen.!) Die ganze hussitische Bewegung ist ihm, wenn er auch noch andere Motive gelten läßt, im wesentlichen doch nur eine Folge dessen, was in bezug auf die Kirchen- reform in England geschehen ist. Unter die „Nachwirkungen Wiclifs‘ wird das Kapitel von der böhmischen Reformation eingereiht. Mit Recht führt Lechler aus, daß Hussens ganze Lehre von der Kirche, Kirchen- begriff, Kirche und Papst u. a. von Wiclif herrühre, wenn Huß auch unter- läßt, seine Quelle mit Namen zu nennen. Es ist, sagt Lechler, Tatsache, daß die maßgebenden Begriffe und Anschauungen von Wiclif ausgesprochen sind, so daß nur die jedesmalige Ausführung Hussens Eigentum ist. Aber auch die Begründung und Beweisführung richtet sich nicht selten nach Wiclifs Vorgang. Seine Kenntnisse von Grosseteste?) und dessen Oppo- sition wider Innocenz IV. verdankt Huß nachweisbar den Schriften Wiclifs. Auch die kirchengeschichtliche Anschauung von den ersten drei Jahrhun- derten, von dem Aufsteigen des Papsttums durch die konstantinische Schenkung ist unstreitig von Wiclif auf Huß vererbt. Mit vollem Rechte führt Lechler aus: Daß 1409, 1410 und in den folgenden Jahren der Wicli- fismus der Angelpunkt der ganzen böhmischen Bewegung gewesen ist, das ergebe sich aus den amtlichen Urkunden bis zur Evidenz.

Leider hat Lechler auf diese zu viel, auf die Vergleichung der beider- seitigen Schriften Wiclifs und Hussens zu wenig Gewicht gelegt. Dadurch ist auch von ihm der hussitischen Bewegung noch ein selbständigerer Charakter beigemessen worden, als sie ihn tatsächlich besitzt und ist es selbst nach Lechlers eingehenden Studien noch möglich gewesen, das wirk- liche Verhältnis zwischen Huß und Wiclif ganz zu leugnen. Es ist bezeich- nend, daß dies fünf Jahre nach dem grundlegenden Buche Lechlers und trotzdem man dieses gekannt hat, geschehen ist, und dies in einem fran- zösischen Buche, das sich vorzugsweise auf die Studien tschechischer Histo- riker stützt.

Von diesen anerkennt Tomek die hohe Bedeutung, die das Studium von Wiclifs Werken auf Huß ausgeübt hat. Er hebt die tiefinnige Pietät hervor, mit der der letztere an seinem teuren Vorbilde hing. Aber bei aller Achtung, mit der Huß den Wiclif als berühmten christlichen Lehrer oder den „evangelischen Doktor“ hochhielt, war er nach Tomeks Meinung doch „Kein blinder Anhänger seiner Lehre‘.?) Indem er aus dessen Büchern schöpfte, was ihm recht und nützlich zu sein schien, bemühte er sich doch

1) Lechler, Johann von Wiclif und die Vorgeschichte der Reformation, 2 Bde., Leipzig 1873.

2) Daß übrigens Werke Grossetestes zu Hussens Zeit in Böhmen bekannt waren, vor allem die Dicta s. in meinem Aufsatze, der älteste Katalog der Prager Universi- tätsbibliothek ‚‚Das erste Abecedarium‘“. MIÖG XI, 301ff.

3) Dejepis m&sta Prahy, dil, 3, 450.

BA Yen

nicht weniger als Matthias von Janow oder Thomas von Stitny, im Verbande mit der Lehre der allgemeinen Kirche zu verbleiben. Tomek führt aus, daß Huß gerade die Lehre Wiclifs, von der sich zuerst Spuren in Böhmen vorfanden, die vom Altarsakrament, niemals gebilligt, desgleichen die Lehre, daß zur gültigen Ausübung priesterlicher Handlungen die sub- jektive Eignung des Priesters erforderlich sei.!) Gleich Janow legte er den höchsten Wert auf die hl. Schrift als der sichersten und absolut un- fehlbaren Quelle deschristlichen Glaubens, aber er verwarf nicht, wie Wiclif, die Tradition der Kirche und die Lehren der heiligen Doktoren. Und auch mit Janow kam er nicht in allen Lehren überein, er benahm sich in vielem ruhiger als dieser. Wie man sieht, wird hier der hussitischen Lehre eine ver- hältnismäßige Unabhängigkeit sowohl von den Vorläufern als auch von Wiclif beigemessen. Aber in der Abendmahlslehre hat sich Huß, wie man aus den wider ihn gemachten Aussagen unbedingt entnehmen muß, wenigstens eine Zeitlang in stark Wiclifschem Sinne geäußert und in seiner Stellung zur Schrift als Norm des Glaubens hängt er nicht von den Vorläufern, sondern von Wiclif ab; der Tradition und den Väter hat er jedoch nicht immer eine gleiche Bedeutung zuerkannt.

Zu ähnlichen Resultaten ist Lenz?) in seinem gleichfalls in tschechi- scher Sprache geschriebenen Buche ‚Die Lehre des Magisters Johann Huß auf Grund seiner lateinischen und tschechischen Schriften nebst der Verurteilung desselben durch die Kirchenversammlung zu Kostnitz“ ge- langt. Über das Verhältnis des Huß zu Wiclif spricht er sich nur nebenher in der Einleitung aus: ‚In diesem exzentrischen Wesen, sagt Lenz da, wo er von der Tätigkeit des Huß als Prediger spricht, ‚hatte Huß als Muster einer geradezu dämonischen Leidenschaftlichkeit den Meister Johannes Wiclif‘“. „Huß schloß,‘ heißt es weiter, ‚‚die Schriften desenglischen Refor- mators gerade wegen ihrer reformatorischen Richtung in sein Herz, ohne daß er die Kluft geahnt hätte, die sich zwischen Wiclif und der katholischen Glaubenslehre auftat. Ja, es scheint, als ob Huß bis zu seinem Tode zu dieser Ansicht nicht gelangt ist. Die Londoner Synode verurteilte zwar schon 1382 vierundzwanzig Artikel Wiclifs und das war gewiß für Huß kein Geheimnis, aber er ließ sich hierdurch in seinem günstigen Urteil über Wiclif nicht beirren, ja gerade im Gegenteil, er bewährte sich frühzeitig als dessen Freund. '

Obgleich aber Huß in der. Lehre Wiclifs sein Vorbild fand, wäre es doch irrig, zu behaupten, daß Huß ein blinder Nachbeter Wiclifs gewesen

1) S. dagegen die Ausführungen bei Lenz (s. die nächste Note):

2) Uteni mistra Jana Husi na 'zäklad& latinskych i ceskych spisüv jeho, jakoz i odsouzeni Husovo na sn&mu kostnickem. V Praze 1875. Für deutsche Leser findet sich ein Auszug aus dem ersten Teil dieses Buches im Programm des k. u. k. deut- schen Staatsgymnasiums in Budweis, 1881, .den Kubi$ta veranstaltet hat.

a

wäre, vielmehr unterschieden sich beide gewaltig voneinander. Huß folgte diesem nur bis zu einem gewissen Grade, dementsprechend wird Hussens Lehre immer noch für eine mehr oder minder originelle gehalten und werden Wiclifsche Lehren und Ausführungen für solche Hussens angesehen.

Lenz würde ein anderes Urteil gefällt haben, wenn er ebenso sorgsam wie die Schriften des Huß auch jene Wiclifs studiert hätte. Aber auf eine Untersuchung der Werke des Huß auf ihre Quellen hin hat er sich über- haupt nicht eingelassen. Immerhin hat er aus Hussens Schriften selbst und den Aktenstücken, die auf ihn Bezug haben, den Eindruck gewonnen, daß Wiclifs Schriften einen bedeutsamen Einfluß auf Huß ausgeübt haben müssen. Um so merkwürdiger ist es, daß dieser Umstand noch einmal, und zwar in einer gewissen erregten Weise, in Abrede gestellt werden konnte. Es ist der Franzose Ernest De£nis, der, tschechischer gesinnt als die Tschechen selbst, wie er sich überhaupt bis in die jüngsten Tage als Partei- gänger des Tschechentums hervorgetan hat, in seinem Buche Huß et la guerre des Hussites!) die völlige Abhängigkeit Hussens von Wiclif geleugnet hat. Daß er dies ohne alle Kenntnis der Schriften beider Männer getan, leuchtet sofort hervor, denn sonst wäre die Sache unerklärlich und könnten nicht so irrige Behauptungen aufgestellt werden, wie diese, daß die Punkte, in denen Huß mit Wiclif übereinstimmte, schon von Janow behandelt worden waren.

Seit dem Erscheinen unserer ersten Beiträge zu dieser Frage sind derlei Behauptungen in wissenschaftlichen Werken nicht mehr vorgetragen worden. Nur gelegentlich wurde noch ein Wort zugunsten der angeblichen Originalität der Ideen und Lehrsätze des Huß laut. Wenn eine solche Stimme sich dahin vernehmen ließ, daß die Abhängigkeit Hussens von Wiclif nur aus seinen lateinischen Schriften?) nachgewiesen wurde, in den tsche- chischen aber nicht vorhanden sei, so darf man heute auf die Arbeiten Jan Sedläks auf diesem Gebiete hinweisen, der unsere Ausführungen ergänzt und in bezug auf Hussens tschechische Schriften weitergeführt hat. Da- nach ist es um diese, sie seien nun pastoralen oder polemischen Inhalts, nicht anders bestellt, als um die lateinischen. Vieles von dem, was Huß nach dieser Seite geleistet, ist nichts anderes als eine Übersetzung Wiclif-

I) Paris 1878.

2) Universitätsberichte Kiew 1884, Bd. 5. Wir müssen uns gegen die Behaup- tung dieses Kritikers, daß unsere Darstellung eine tendenziöse, gegen das Slawentum gerichtete sei, verwahren. Kein Satz der unten folgenden Ausführungen läßt eine derartige Tendenz erkennen; denn wenn auch einmal betont wurde, daß sich Huß von Deutschfeindlichkeit nicht freisprechen läßt, so ist damit nur eine Tatsache, an der übrigens niemand zweifelt, festgestellt. Auch von einer völligen Identifizierung des Hussitentums mit dem Wiclifismus kann keine Rede sein, denn unter den Hussiten stand die Mehrzahl nicht ganz auf der Stufe Wiclifs.

ICE

scher Texte.) Und so hat auch der neueste Herausgeber von Werken des Huß, W. FlajShans, in den bisher erschienenen drei Bänden den Wicli- fismus des böhmischen Reformators, wenn auch nicht mit der wünschens- werten Genauigkeit und Vollständigkeit, anerkannt. Daß die Art, wie Huß Wiclifs Werke ausschrieb, ein eigentümliches Licht auf seine Persönlichkeit wirft, wer wollte das leugnen? Nach dieser Seite hin hat sich noch jüng- stens ein Gelehrter wie Albert Hauck in scharfer Weise vernehmen lassen.?)

1) S. meinen Aufsatz, Neuere Erscheinungen der Wiclif- und Huß-Literatur, Zeitschrift des deutschen Vereins für die Geschichte Mährens und Schlesiens, a. a. O., 258ff., wo Sedläks Arbeiten Jan Hus und seine Studie a texty knäboZenskym de&jinäm besprochen werden. In diesem Zusammenhang mag noch die Arbeit von Väclav FlajShans, Literarni Cinnost mistra Jana Husi (die literarische Tätigkeit des Magi- sters Johann Hus) Prag 1900, erwähnt werden, die nicht bloß eine gute Übersicht über die gesamte schriftstellerische Tätigkeit des Huß gewährt, sondern bei einzelnen Schriften auch deren Wiclifschen Beisatz anmerkt. S.27, 61, 67, 84, 86, 98, 147, 158 u.a.

?2) Studien zu Johann Huß, S. 57ff.

Erstes Buch

Der Wiclifismus in Böhmen bis zu seiner Verurteilung durch das Konzil von Konstanz

Loserth, Huß und Wiclif. 2

I. Kapitel.

Kirchliche Zustände in Böhmen in der Zeit Karls IV. Arnest von Pardubitz und die böhmische Kirche.

Wer etwa in den letzten zehn Jahren des I4. Jahrhunderts in Böhmen, Mähren oder Schlesien an die Zeiten Karls IV. gedachte, die er erlebt, oder gar erst in den zwanziger Jahren des nächsten Jahrhunderts Rück- schau hielt, dem mußten die Tage Karls IV. als das goldene Zeitalter er- scheinen. In der Tat, lebhaft genug lassen sich die Schriftsteller über sie aus. Dieser glorreiche Fürst, ruft Ludolf von Sagan aus, dieser Freund der Gerechtigkeit und Eiferer für den Frieden, schuf im Königreich Böhmen in so nachdrücklicher Weise Ordnung, daß sich kein bewaffneter Arm gegen einen Nachbarn erhob. In Wäldern und Fluren herrschte tiefster Friede, und nicht brauchte zu fürchten, wer etwa goldbeladen die Straßen dahinzog.t)

Nicht so enthusiastisch, doch immer noch lebhaft genug, schildern andere Schriftsteller, zumal wenn sie dem geistlichen Stande zugehören, diese Zeiten. Die Geistlichkeit empfand eben den späteren Wechsel viel schwerer. Die Regierung Wenzels lastete hart auf ihr und bot nicht viele Lichtblicke.

Wie anders lagen die Dinge unter Karl IV., dem Freund des Klerus den Pfaffenkaiser, imperadore de preti, hat ihn im fernen Italien Giovanni Villani genannt unter dem Könige, dessen größter Ruhm es zu sein schien, neue Kirchen zu bauen und die verfallenen wieder herzustellen.

Auch im Reiche rühmte man seine Liebe zur Kirche: Es war, läßt sich ein Nürnberger hören, Karolus ein überfleißiger Mann zum Heiltum, und er sucht und stellet nach solchem und ehret es in allen Landen.?)

Die Geistlichkeit hatte auch sonst viel Freude an diesem Kaiser. War er doch nach Erziehung und Neigung selbst mehr ein Geistlicher als ein Laie.?)

1) Ludolf von Sagan, de longevo schismate (ed. Loserth) im Arch. f. österr. Gesch., 60, 408. 2) Sigmund Meisterlin, Chroniken der deutschen Städte, 3 Bd. (Nürnberg, 156). 3) S. die Leichenrede des Erzbischofs OCko von Wlaschim bei Freher, SS. rer. Boh. ııı: Nam horas suas canonicas, sicut unus sacerdos, dicebat. psalteri um in aliquibus locis pulcherrime exposuit... ipse enim fuit ordinatus acoluthus. 2*

Br en

Wie ein Priester unterzog er sich den kirchlichen Übungen, den Psalter und die Evangelien wußte er in herrlicher Weise auszulegen und mit Magistern und Doktoren zu disputieren. Die Freude an Disputationen hat er seinem Sohne Wenzel vererbt, der gern theologische Streitfragen, besonders recht spitzfindige, aufwarf. Von der theologischen Gelehr- samkeit Karls IV. hat sich manches erhalten: Auslegungen von Gleich- nissen u. dgl.

Daß unter einer solchen Herrschaft die Kirche auch äußerlich wohl gedeihen mußte, läßt sich erwarten. Ihr Wachstum an weltlichem Gut, an Gründungen und Stiftungen ist in der Tat ein erstaunliches.t) Die Angabe des Huß, daß sich ein Viertel oder ein Drittel von Grund und Boden in Böhmen im Besitze der toten Hand befinde, ist allerdings nicht genau verbürgt, er hat die Stelle mit einer sachlichen Änderung aus Wiclif ent- lehnt?), und englische Verhältnisse auf Böhmen angewendet, aber ähnlich lagen ja die Dinge auch in Böhmen. Es ist klar, daß sie solchergestalt nicht zum Gedeihen der Kirche ausschlagen konnten. Freilich unter Karl sorgten noch jene Männer, die er an die Spitze der kirchlichen Verwaltung gestellt hatte, dafür, daß die böhmische Geistlichkeit nicht ganz und gar der Ver- weltlichung anheimfiel und jenen Übeln, mit denen der Klerus in anderen Ländern behaftet war.

Unter den Männern, deren sich Karl IV. zur Ausführung seiner Pläne bediente, hat wohl keiner ein größeres Vertrauen bei ihm besessen als Arnest von Pardubitz?), der seit 1343, wo er dem hartgeprüften Johann von DraZic nachfolgte, an der Spitze des böhmischen Kirchenwesens stand.

Seine kirchliche Verwaltung hat geradezu Epoche gemacht und ist für viele Jahrzehnte nach seinem Tode noch als mustergültig erachtet worden. Er stammte aus dem böhmischen Geschlechte der Ritter von Weißenburg. Seine ersten Studien hat er bei den Johannitern in Glatz, dann bei den Benediktinern in Braunau gemacht, von wo er nach Prag wahrscheinlich an die Metropolitanschule kam, bis er endlich zu seiner vollständigen Aus- bildung noch die Universitäten in Bologna und Padua besuchte. Nach seiner Heimkehr wurde er Dekan des Kollegiatkapitels in Sadska und lenkte bald die Aufmerksamkeit Karls IV. auf sich, durch dessen Einfluß er auf den Prager Bischofsstuhl gelangt sein dürfte. Die Zeitverhältnisse lagen da- mals außerordentlich günstig, um einen alten Lieblingswunsch böhmischer Könige dessen Erfüllung schon Piemysl Ottokar I. im Jahre 1204 lebhaft

1) Die Materialien hierfür s. in den MM. Vaticana res gestas Bohemicas illu- strantia I (Opera Klicman), II (Opera Novak) reicht aber nur bis 1362. Einzelnes bei K. Krofta, Kurie a cirkevni spräva zemi Ceskych v dob& ptedhusitsk&e. Cast III (SA. aus dem Cesky &asopis hist. XIV).

2) Sie stammt aus De Ecclesia cap. XV, S. 338.

3) Für die biogr. Notizen über Arnest von Pardulitz s. Tadra in d. Cancellaria Arnesti. Arch f. österr. Gesch., 61, 276ff.

SIDE

ersehnt hat durchzusetzen: Die Loslösung Prags von der Verbindung mit Mainz und seine Erhebung zum Erzbistum. Der Mainzer Erzbischof Heinrich von Virneburg, einer der treuesten Anhänger Ludwigs des Bayern, war vom Papste am 15. Oktober 1341 suspendiert worden. Seit dieser Zeit erneuerten die Luxemburger den Versuch, in Prag ein Erzbistum zu be- gründen, und nichts kam ihren Zwecken so gelegen, als die Erhebung Klemens VI. auf den päpstlichen Stuhl, des Mannes, der schon als Kleriker mit Karl IV. auf vertrautem Fuße gestanden. Im November 1343 lud er den König Johann von Böhmen und dessen Sohn, den Markgrafen Karl nach Avignon ein, um ihre Gründe für die Errichtung des Prager Erz- bistums persönlich vorzubringen. Vom 30. April 1344 ist die Bulle datiert!), durch die Prag der Sitz eines Erzbistums wurde. Als Gründe für die Tren- nung von dem Jahrhunderte alten Verband mit Mainz wurden streng genommen dieselben zur Geltung gebracht, die man schon im Jahre 1204 zur Hand hatte: Die weite Entfernung von Mainz und die Verschiedenheit der Sprachen in Deutschland und Böhmen. Der erste Erzbischof war Arnest. Aus dieser Zeit stammt wohl das Bild, das der Dechant Wilhelm von Lestkow von ihm entwirft: Ein Mann von hoher Gestalt und liebreichem Aussehen, eine ernste schweigsame Natur und doch voll von Wohlwollen und Milde. Seine Freigebigkeit zumal armen Studenten gegenüber wird rühmend hervorgehoben und daß er ein Feind aller nepotischen Neigungen war, ausdrücklich bemerkt. Dem Kaiser war er Beichtvater und Ver- trauter. Auch in diplomatischen Aktionen hat er sich bewährt. Im Jahre 1346 ging er mit dem Herzog Niklas von Troppau nach Avignon, um dem Papste die Wahl Karls IV. anzukündigen. Die Rede, die er damals gehalten, ist noch vorhanden. Der Erzbischof vergißt nicht, auf die zahlreichen Akte frommer Gesinnung Karls IV. hinzuweisen. Auch Villani weiß von Arnests Gewandtheit als Diplomat zu erzählen. Als die Universität in Prag ins Leben gerufen wurde, wurde Arnest ihr Kanzler. Ja, als Innocenz VI. starb, soll man daran gedacht haben, ihn auf den päpstlichen Stuhl zu erheben. Seine Bescheidenheit soll ihn auch verhindert haben, den Purpur anzunehmen. Bis zu seinen letzten Augenblicken finden wir ihn in den Diensten des Kaisers. In dessen Gefolge weilte er zu Pfingsten 1364 in Bautzen und dort ist er nach kurzer Krankheit am 30. Juni ge- storben.

1) Das Material für die Errichtung des Erzbistums in Prag findet sich jetzt am genauesten im ı. Bd. der MM. Vaticana res gestas Bohemicas illustrantia ed. Klicmann, Nr. 363. Die Erhebung Arnests ebenda, Nr. 364. Eine Reihe päpstlicher Verfügungen hängt damit zusammen. Nr. 365—367 u.a. Daß nicht jenes läppische Märchen, das von Nanker von Breslau erzählt wird: Johann von Böhmen sei nur ein armes Königlein, der in seinem Lande nicht einmal einen Metropoliten habe, die Gründung des Erzbistums hervorgerufen habe, mag man aus Benesch von Weit- mühl ersehen.

EA PEREHE

Seine Verdienste um die literarischen und künstlerischen Bestre- bungen müssen an dieser Stelle übergangen werden.!) Auf kirchlichem Gebiete entfaltete er eine staunenswerte organisierende Tätigkeit. Seine Nachfolger durften nur auf dem von ihm gelegten Grunde weiter bauen. Reiche Denkmäler seiner Tätigkeit sind in dem Formelbuche erhalten, das aus seiner Kanzlei stammt, der Cancellaria Arnesti, dann aber namentlich in seinen Statuten und Synodalverordnungen. Da die bisherigen Pro- vinzialstatuten seit der Trennung der Prager Diözese von Mainz ihre Be- deutung verloren hatten, war Arnest genötigt, neue Verordnungen zu er- lassen. Das ist auf der großen Provinzialsynode des Jahres 1349 geschehen, auf welcher die Statuta Arnesti verkündigt wurden, die nunmehr als Gesetz- buch für die Prager Metropolie, demnach auch für die Bistümer Olmütz und Leitomischl gelten sollten.) Die in diesen Diözesen vorhandenen Miß- bräuche, namentlich jene, die sich auf Erwerbung von Pfründen und die Erlangung von Weihen bezogen, sollten abgeschafft, die sittliche Haltung der Geistlichkeit verbessert und die kirchliche Verwaltung überhaupt in strengster Weise geregelt werden.?) Die Suffraganbischöfe von Olmütz und Leitomischl hatten die Statuten in ihren Diözesen zu verkünden. In allen Kirchen des Landes mußten sich Abschriften davon befinden, und zwar in den Kathedral- und Kollegiatkirchen je zwei, bei den Archi- diakonen, in den Dechanteien und Pfarreien je eine. Drei Monate nach ihrer Kundmachung sollte sich kein Geistlicher mehr mit ihrer Unkennt- nis entschuldigen dürfen. Jeder Erzbischof mußte sich bei seinem Amts- antritt zur strengen Einhaltung der Statuten eidlich verpflichten.

Zur Befestigung der neuen Ordnung wurde die Unterstützung des Domkapitels in energischer Weise gefordert. Ihm hat Arnest bald nach der Erhebung Prags zum Erzbistum seine besondere Sorgfalt zugewendet. Eine eigene Kommission wurde mit der Aufgabe betraut, Statuten für das Domkapitel abzufassen?), aber dessen Mitglieder konnten sich über eine Anzahl wichtiger Bestimmungen, von denen das Gedeihen der Kirche abzuhängen schien, nicht einigen; zudem waren einzelne Punkte zu scharf

!) Doch kann man nicht umhin, auf die ausgezeichnete Charakteristik der Kanzlei und der Anfänge der Renaissance von Konrad Burdach im Zentralblatt für Bibliothekswesen, VIII, 433ff., hinzuweisen. Man darf auch nicht vergessen, daß in der luxemburgischen Periode in Böhmen das bedeutendste deutsche Prosa- werk im Mittelalter geschaffen wurde: Der Ackermann aus Böhmen. S. Burdach, vom Mittelalter zur Reformation, III, Berlin 1917.

2) Über Handschriften und Drucke dieser Statuten s. Dudik im 37. Bd. des Arch. für österr. Gesch., 414.

3) Frind, Kirchengeschichte von Böhmen, 2, 94.

4) S. die Einleitung zu den Statuta ecclesiae Pragensis, herausg. von Dudik im 37. Bd. d. Arch. f. österr. Gesch., 422. S. auch Men£ik, Nekolik statutu a nafizeni arcibiskupü praZskych ArnoSta a Jana, Abh. d. kgl. Ges. d. Wissensch., 6. Folge, ı1. Bd.

gefaßt, so daß einige Bestimmungen gemäßigt werden mußten, andere zu dunkel, so daß sie einer Erläuterung bedurften kurz, es stellte sich die Notwendigkeit heraus, an ihre Neubearbeitung zu schreiten.

Diese schwierige Aufgabe wurde dem Doktor der Theologie und Domherrn von Prag, Johann von Padua, übertragen. Arnest hat selbst an der Arbeit Anteil genommen, indem er die Statuten einer wiederholten Prüfung unterzog. Niedergeschrieben wurden sie im Jahre 1350 auf neun Pergamentblättern von der Hand des Notars Albert von Wayzow: Diese Statuten umfassen den ganzen Wirkungskreis aller zum Kapitel und zur Metropolitankirche gehörigen Personen. Die Rechte und Pflichten eines jeden einzelnen werden genau festgestellt und die Einkünfte aller aufge- zählt. Daß bei der Anlage der neuen Statuten auf alte, in der Prager Diözese vorhandene Gebräuche Rücksicht genommen wurde, ist selbstverständlich.!)

Auch andere Einrichtungen Arnests sind in der Folge beibehalten worden. Synoden wurden schon vor seiner Zeit in Böhmen und Mähren gehalten: nun wurde es Regel, daß sie des Jahres zweimal an festbestimmten Tagen zusammentraten. Zur strengeren Handhabung seiner Anordnungen schuf er das Institut der Korrektoren, die das Gebahren der Geistlichkeit zu überwachen und Mahnungen, Drohungen und Strafen auszuteilen hatten. Neben den Korrektoren erscheinen Inquisitoren, die für die Reinhaltung des Glaubens sorgen sollten.

Unter solchen Umständen ist es völlig glaubwürdig, was der Biograph Arnests versichert, daß sich in ganz Deutschland kein zweiter Kirchen- fürst fand, dessen Tätigkeit an jene des Prager Kirchenhirten heran- reichte.?) Man kann sie heute noch in seinen Stiftungs- und Bestätigungs- büchern bewundern.?)

Der Nachfolger Arnests von Pardubitz, der bisherige Bischof von Olmütz, Johann Oiko von Wlaschim, wie Arnest selbst ein Freund und Ratgeber des Kaisers, schritt auf den Bahnen seines Vorgängers weiter. Besonders bemerkenswert ist, daß von diesem Erzbischof die meisten Synodalstatuten auf uns gekommen sind. Man vermag aus diesen am besten die sittlichen Zustände der Geistlichkeit und des Volkes in Böhmen

1) Auch ist es natürlich, daß einzelne Teile der Statuten mit denen überein- stimmten, die einstens die Mainzer Erzbischöfe erlassen hatten. Ähnlich waren die Statuten Arnests für die Olmützer Diözese. Sie sind herausgegeben von Dudik im 41. Bd. d. Arch. f. österr. Gesch., 195 ff.

2) Die vita Arnesti des obengenannten Dekans Wilhelm (zum Teil einer älteren Legende nachgebildet) in den Geschichtsschr. der hussitischen Bewegung, 2, I—II.

3) Jene sind die libri erectionum, die von 1358 angefangen alle Stiftungen von Messen, Pfarren usw. enthalten. Sie bildeten gemäß eines kaiserlichen Privi- legiums die geistliche Landtafel Böhmens und es mußte ihnen in Streitsachen unbe- dingter Glaube geschenkt werden. Diese sind die libri confirmationum, die alle Präsentationen und Ernennungen zu geistlichen Benefizien enthalten. S. Frind, Kirchengesch., 2, 96.

ER A

in der karolinischen Periode erkennen, weshalb es zweckmäßig erscheint, einen Augenblick bei ihnen zu verweilen. Die ersten Statuten, die noch erhalten sind, stammen aus dem Jahre 1353, rühren also noch von Arnest von Pardubitz her. Die erste und vornehmste Sorge des Erzbischofs ist den Ketzern gewidmet: Die Geistlichkeit muß ihnen und anderen ver- dächtigen Personen mit Eifer nachspüren und sie entweder dem Erzbischof oder dem Inquisitor anzeigen. Die nächste Sorge bezieht sich auf die Provinzialsynoden. Zu diesen sollen sich alle Geistlichen der Diözese ein- finden und die Provinzialstatuten mitbringen. Nur dem Armen wird deren Anschaffung nachgesehen. Für die Spendung der Sakramente und die Bestattung der Leichen soll nichts, für das Geläute nur ein mäßiger Betrag eingehoben werden. Die Kirchengefäße sind rein zu halten, die Gemeinden zum Besuch der gottesdienstlichen Handlungen einzuladen; mit Schweigen und Ehrerbietung muß man ihnen beiwohnen, den Lastern des Fraßes und der Trunkenheit, der Spielsucht, Ausschweifungen, Wahrsagereien usw. soll die Geistlichkeit nach Kräften entgegenwirken.!)

Mit Nachdruck wird gefordert, daß der Klerus sittsam einhergehe, sich vom Tanzboden und anderen Vergnügungsorten fernhalte, die vorge- schriebenen Gebete und Zeremonien einhalte, keine Fremden zur Seel- sorge zulasse und Wucherer, Feinde der Geistlichkeit und Verächter der kirchlichen Zensuren beim Erzbischof anzeige. Der Unzucht soll man sich enthalten: Geistliche, die mit jungen Frauenzimmern wohnen oder Waffen tragen, Karten- und Würfelspieler, Mordbrenner, Diebe und Diebshehler sind von den Erzpriestern zu belangen. Weitere Anordnungen sind gegen die Mörder geistlicher Personen gerichtet. Sonn- und Feiertage sollen in gebührender Andacht gefeiert und die gebotenen Fasten beobachtet werden. Gestohlenes Gut muß zurückgestellt werden. Die Gläubigen mögen sich hüten, Wälder anzuzünden: Waldbrenner, jene die man Posary nennt, dürfen nur vom Erzbischof selbst absolviert werden. Von diesen Statuten muß ein jeder Pfarrer eine Kopie besitzen.

Ein Statut vom Jahre 1355?) enthält einzelne neue Bestimmungen. Man sieht, welche Sorgfalt schon auf die Anwendung und Pflege der Volks- sprache gelegt wird: Die Pfarrer und ihre Vikare haben sich bei den Pre- digten an Sonn- und Feiertagen beim Verlesen des Glaubensbekenntnisses und Vaterunsers der Volkssprache zu bedienen.

Neu sind die Bestimmungen über gewisse festliche Tage, namentlich

1) Von dem Einschreiten Arnests gegen die Gottesgerichte findet sich merk- würdigerweise in den Synodalstatuten so gut wie nichts. S. darüber die vita Arnesti, ara 0887;

2) Der Ausdruck statutum minus kann leicht irreführen. Man könnte danach diese Statuten für einen Auszug aus den größeren Statuten halten, tatsächlich sind aber hier noch neue Bestimmungen.

in

über das Reliquienfest, über Ablässe und einzelne liturgische Sachen. Auch diese Statuten sind genau aufzubewahren. Ein anderes Statut vom I8. Ok- tober 1361 ändert gewisse Bestimmungen der großen Statuten ab, einige Punkte werden neu angefügt; am wichtigsten sind die Bestimmungen gegen Kleriker der niederen Weihen, die bald als Geistliche, bald als Laien gelten wollen, um sich im gegebenen Fall der geistlichen oder weltlichen Gerichts- barkeit zu entziehen.

Auf diesem Boden bewegt sich die kirchliche Gesetzgebung auch unter Arnests Nachfolgern Johann Ocko von Wlaschim und Johann von Jenzen- stein. Meist sind es die obengenannten Laster, gegen die auch die späteren Syncden einzuschreiten veranlaßt sind!); bei der Geistlichkeit vor allem der Hang zu weltlichem Leben, zu Spiel und Trunk und zu geschlechtlichen Ausschweifungen. An anderen Gläubigen werden daneben andere Fehler gerügt und Anordnungen gegen Raub, Diebstahl und Hehlerei getroffen. Besonders häufig begegnet man Bestimmungen gegen den Wucher. Es wird strenge darauf gesehen, daß ein jeder Erzpriester, Dechant, Pfarrer und Vikar mit dem Inhalt der Provinzial- und Synodalstatuten vertraut sei. Gegen Reste des Heidentums in den Gebräuchen des Volkes wird an- gekämpft, so gegen das Todaustreiben, das in den slawischen Landschaften der Oder und Weichsel noch heute bekannt ist.?2) Ebenso werden gewisse Gesänge und Spiele verboten.

Es fragt sich nur, welches die Wirkung der zahlreichen Gebote ge- wesen ist, die fast alljährlich von neuem eingeschärft wurden. Da klingt es denn nicht verheißungsvoll, wenn man in den Synodalstatuten Klagen gegen die Archidiakonen findet, denen die Aufsicht über die einzelnen Dekanate anvertraut ist, und hört, daß sie schnöden Gewinnes halber offen- kundige Gebrechen der Geistlichkeit verschweigen.?) Über die kirchlichen Zustände, wie sie vor und während der ersten hussitischen Wirren gewesen sind, sind wir gut unterrichtet. Für die Zeiten Arnests von Pardubitz finden sich wichtige Nachrichten in seiner Cancellaria; für die Zeit des Erzbischofs Ocko von Wlaschim und Johann von Jenzenstein belehrt uns ein Buch aus dem Jahre 1379, in welchem die Ergebnisse der Visitations- reise eines Archidiakons durch mehrere Diakonate niedergelegt sind.*)

1) Solche Synodalstatuten haben sich noch aus den Jahren 1365, 1366, 1371, 1374, 1377, 1380, 1384, 1386, 1387, 1389—1392, 1403, 1405—I410, I412, 1413 erhalten; s. Concilia Prag, gff.

2) De mortis imagine. Conc. Prag, 11.

®) Ebenda, 12, Archidaconi in suis visitationibus... qui sunt questus et turpia lucra querunt. . Die Erzdiözese war in der Zeit Arnests in ıo Archidiakonate Prag, Kaufim, Bechin, Pilsen, Bischof-Teinitz, Saaz, Bilin, Leitmeritz, Jungbunzlau und Königggrätz geteilt, von denen je eines mehrere Dekanate umfaßte. Deren Vorstände wurden aus den Pfarrern der Dekanate gewählt. Über die Pflichten der Archidiakone s. die Cancellaria Arnesti, 284.

4) Cod. arch. metrop. capit, Prag. XIV.

Be

Aus einem anderen Buche, das aus dem Jahre 1407 stammt und worin das Verfahren gegen sündhafte Geistliche erzählt wird, erhalten wir die ent- sprechenden Ergänzungen.

Man entnimmt diesen Quellen, daß die zahlreichen und scharfen Erlasse auf den Synoden wohl einem dringenden Bedürfnisse begegneten, im ganzen aber doch nicht viel gefruchtet haben. Zwar die Biographie Arnests sagt, daß dieser dem tiefen Verfall der Kirchenzucht in der Prager Diözese gänzlich Einhalt getan habe, in Wirklichkeit steht aber fest, daß auch unter ihm starke Verstöße gegen die kirchliche Zucht an der Tages- ordnung waren.!) Wir finden in seinen Akten, daß viele Priester ohne Er- laubnis der Vorgesetzten von ihren Berufsorten entfernt lebten, ohne sich um die Ermahnungen der Dekane viel zu bekümmern, ja ihre Einkünfte an andere Personen verpachteten?) und daß die Mönchs- und Nonnen- klöster wiederholter Mahnungen zu einem ordentlichen Leben ihrer Mit- glieder bedurften.

Klagen über sittliche Vergehen, besonders über den Konkubinat°) der Geistlichen, sind ebenso häufig wie früher; Archidiakone, die die Anzeige hiervon erstatten sollen, werden bestochen, andere müssen wiederholt ge- mahnt werden, die ihnen übertragene Aufsicht überhaupt vorzunehmen. Der Magistrat der Kleinseite von Prag erhält volle Macht, einzelne Kleriker, die sich in Kneipen mit Kegel- und Würfelspiel beschäftigen oder die bewaffnet einherschreiten, gefänglich einzuziehen®), die Kapitularen der Prager Kirche lassen die Schule verfallen.?) Einzelne Geistliche stecken tief in Schulden usw.

Auch von Ketzern ist die Rede: Namentlich in der Piseker Gegend sollen sich viele aufhalten. Noch in den Konsistorialakten vom Jahre 1381 heißt es, daß man den Priester Johl von Pisek nicht ordinieren könne, weil sein Vater und auch sein Großvater Ketzer waren.) Schlimmer

1) Nimirum clerus illius temporis modice proh dolor legi subiacebat.... alius enim concubinis adherens et nec tonsuram seu coronam deferens turpi se ipsum polluit feditate, quorum tamen insania sub ipsius regimine conquievit penitus. Ge- schichtsschr. d. hussit. Bewegung, 2, 7. S. Cancellaria Arnesti, a. a. ©. 286.

2) Ebenda, 291.

®) Litera monicionis cum sentencia domini Alberti de Ujezdez, qui cum duabus sororibus incestum dicitur perpetrasse, 305.

4) Ebenda, 488.

5) Ebenda, 306.

%) Ebenda, 340. Note aus den acta consistorii de anno 1381: ex quo pater suus et eciam avus suus fuerint heretici et convicti de heresi ac eciam condempnati. S. die Commissio super officio inquisicionis heretice pravitatis. Ebenda, S. 338 und 330. Neben dem gewöhnlichen geistlichen Gericht (unter den correctores cleri) bestand seit früherer Zeit zur Ausforschung und Bestrafung von Ketzern das Inquisitionsgericht, worüber die Cancellaria die erwähnten Nachrichten bringt. S. ebenda, 281.

ROTER

scheinen die Zustände unter Arnests Nachfolger Oöko von Wlaschim ge- wesen zu sein.

Die meisten Klagen, die jetzt vor die Visitatoren gebracht werden, beziehen sich auf den Konkubinat der Geistlichkeit.!) Da gibt es kaum eine Kirche, an der der Visitator ein vollkommen tadelloses Leben der Geist- lichkeit fände. Darum ist auch seine erste Frage, ob sich an der betreffen- den Kirche Konkubinare, und zwar nicht bloß unter den Geistlichen be- finden, denn auch die Weltlichen stehen Rede: Ritter, Bürger und Bauern. Finden sich solche, dann wird die Untersuchung eingeleitet, die oft merk- würdige Dinge zutage fördert. Die Schuldigen werden mit Geldstrafen zu- gunsten des Dombaues oder mit der Exekution belegt. Sehr häufig finden sich Klagen über den Wucher, der nicht bloß von Laien, sondern auch von der Geistlichkeit getrieben wird. Doch kommen auch Verbrechen wie Not- zucht und Diebstahl vor. Sehr sorgsam wird darauf gesehen, daß die Sta- tuten des Erzbischofs Arnest und die Synodalverordnungen in den Pfar- reien vorhanden seien. Es kommt vor, daß ein Pfarrer verhalten wird, seinen schadhaft gewordenen Papierkodex gegen einen solchen aus Perga- ment umzutauschen. Vereinzelt finden sich auch Klagen über Besitz- störungen, öfter hört man von häufigem Besuch der Gasthäuser und vom Spiel der Geistlichen reden.?) Von Klagen über häretische Anschauungen findet sich, wie es scheint, in diesen Akten nichts. Um gerecht zu sein, muß man gestehen, daß die Behörden die Auswüchse, die am meisten Ärgernis gaben, in schärfster Weise ahndeten. Wegen Diebstahls und Straßenraubes erhält ein Priester, Wenzel von Komotau, neben einer augen- blicklichen schmachvollen Strafe eine schwere zweijährige Kerkerhaft. Ein anderer Priester namens Johannes wird wegen eines öffentlichen Straßenraubes bestraft, den er in Gesellschaft mit zwei anderen im Walde, wo man nach St. Prokop geht, begangen hat. Ein anderes Mal handelt es sich um einen Bücherdiebstahl.?) Einem Diebshehler wird nach erfolgter

1) Einige Fälle enthält Tomeks De£jepis me&sta Prahy, 216, 243—5I.

2) Acta correctoria, liber archivi cap. Prag, XX, 38b: Die mensis Martii dominus Hersso corrector cleri diocesis Pragensis mandavit domino Petro plebano, ut dein- ceps ludos... non exerceat... nec honestis mulieribus adhereat nec foveat... die 26 Martis: mandavit domino Valentino plebano, ut deinceps Anne de Velvar, quam tenuit pro domestica, non adhereat nec ipsam visitet ... et loca inhonesta non visitet, suspectis non adhereat... mandavit domino Petro plebano penitencia carcerali emisso, ut deinceps tabernas continuo non visitet.

3) Die 9 mensis Octobris dominus Bohunco plebanus in Swagerzicz restituit librum viaticum ... in quo viatico in secundo folio ... ipsius viatici erat scriptum psalmus et versus ‚„Sepulchrum patens‘ in toto et in fine ipsius libri quedam tabula deinponendis historiis.... quilliber erat furtive ablatus per dominum Mathiam.... presby- terum domino Petro plebano in Mukarzew prope Pragam... quem librum ipse dominus Petrus recepit in presencia domini Herssonis correctoris ... qui liber erat venditus ipse domino Bohunconi in octoginta quinque grossis per prefatum dominum Mathiam.

Bern es

Bestrafung die Mahnung mit auf den Weg gegeben, er möge sich in Zukunft nicht an Diebe hängen.

Bemerkenswert ist es immerhin, daß unter den einzelnen Fällen, die im Laufe eines einzigen Jahres zur Untersuchung gelangen, sich gegen 20 befinden, die auf Diebstahl lauten.

Man darf jedoch nicht den niederen Klerus allein ins Auge fassen: schlimmer war es mit dem höheren bestellt. Gewiß keine Zierde des Dom- kapitels war dessen Probst Georg Burkhard von Janowitz. Wir hören über ihn die Klage des Erzbischofs Sbinko von Hasenburg: Als ich den Prager Probst wegen seines Unfugs vor mich berief, rotteten sich die Leute, denen sich einige Diener des Königs angeschlossen hatten, zusammen, bewehrt mit Armbrust und Panzer, um sich hochmütig mit bewaffneter Hand dem zu widersetzen.

Das Testament dieses Herrn hat sich im Archiv der Stadt Budweis gefunden. Wir ersehen daraus, daß er ein glücklicher Vater von drei Söhnen war, denen er ein, wie es scheint, nicht ganz unbedeutendes Ver- mögen vermacht hat.!)

Die Übelstände, wie sie aus den Visitations- und Korrektionsbüchern der Prager Erzdiözese in so grellen Farben herausleuchten und denen man eben noch die zahlreichen Klagen über die Verweltlichung und Verkommen- heit des Klerus in seinen oberen Schichten hinzufügen muß, zeigen deutlich, wie vorbereitet der Boden für eine durchgreifende reformatorische Tätig- keit einzelner gewesen ist. Nur muß festgehalten werden, daß nicht Böhmen allein dieser Boden war, auf dem solches Unkraut wucherte.?) Die ver- schiedenartigen Reformvorschläge, die im Schoße der Hierarchie vor und während der Zeit des Konstanzer Konzils auftauchten, enthalten hier- über die reichhaltigsten Materialien. Um nur einen Landsmann des Huß zu nennen, der in Sachen der kirchlichen Lehre gar nicht zu seinen Freun- den gerechnet werden darf Stephan von Prag ruft in seiner Rede an die Väter des Konzils aus: Heutzutage sucht man auf der ganzen Welt nur Geschenke und Vorteile, Gewinn und Ehren, Gunstbezeigungen und fleischliche Lüste. Ignoranten, Unfähige und Schlechte werden zu den höchsten geistlichen Ämtern befördert.3) Und eine andere Stimme läßt sich ebenfalls vernehmen: Es sei gewiß notwendig, die Ketzer in Böhmen und Mähren von der Erde zu vertilgen, aber ich vermag nicht abzusehen, wie das ohne vorhergegangene gründliche Reform der römischen Kurie selbst geschehen könnte.)

!) Köpl, Testament des Georg Burkhard von Janowitz, MVGDB. 21, 93.

?) S. die Stelle über die Kurie aus einer Osseker Handschrift bei Sedläk, Jan Hus, S. 29.

®) Von der Hardt, ı, 843.

*) Ebenda, 7, 306. Dietrich von Niem, De necessitate reformationis in conc., univ. cap. 29. Vgl. dazu die Klagen des Huß über die Bischöfe und Priester seiner

00

Auf einem Boden, wie ihn die Landeshauptstadt Prag und die ver- schiedenen Dekanate Böhmens darboten, aus deren Ortschaften Jahr für Jahr lebhafte Klagen zu den Zentralpunkten des kirchlichen Lebens ge- langten, mußte eine Opposition gegen die vorhandenen Übelstände in der Verwaltung der Kirche und dem Leben der Geistlichkeit einen mächtigen Anklang finden.

2*Kapıtel

Die sogenannten Vorläufer der hussitischen Bewegung.

Der erste der Männer, der voll reformatorischen Eifers gegen einzelne in der Kirche vorhandene Mißbräuche eiferte und als Prediger große Er- folge errang, war Konrad, ein Mönch aus dem Augustinerkloster Waldhausen in Österreich.!) Seine Bedeutung für die Geschichte der böhmischen Kirche läßt sich aus dem glänzenden Nachruf ermessen, den ihm der Freund Karls IV. und Geschichtsschreiber Böhmens, Benesch Krabice von Weit- mühl, in seiner Chronik der Prager Kirche unmittelbar nach seinem Ab- scheiden gewidmet hat. Andere Zeitgenossen und spätere Schriftsteller erinnern an sein erfolgreiches Wirken.?)

Zeit, über die Domherren und faulen Meßstecher, die aus der Kirche in die Wirtshäuser und auf den Tanzboden eilen; s. Joh. Huß’ Predigten, aus dem Böhmischen übersetzt von Novotny, I, 7—9, 27, 45, 2, 29, 45, an einer Stelle spricht er sogar von Bischöfen und selbst von Päpsten, die nicht lesen können, 2, 90.

1) Eine Zusammenstellung des Quellenstoffes zur Gesch. Konrads s. Real- Enz. für prot. Theol. XX, 840. ]J. Sedläk, Mag. Jan Hus. Klicman, Zpräva o cest& po knihovnäch etc. (Reisebericht aus österr. und deutschen Bibliotheken.) Vestnik cesk& akademie, II, 63; Zibrt, Bibliografie hist. Ceske, II, ııı7. Palacky, Die Vor- läufer des Hussitentums in Böhmen, N. A. 1869, S. 16. Noch fehlt es an einer Gesamtausgabe der Werke Konrads, vor allem der Predigten. Für unsere Zwecke kommt namentlich seine Apologie in Betracht. (Apologia Konradi in Waldhausen ed. Höfler, FF. rer. Austr. 2. VI, 17— 39.) Was Konrads Korrespondenz betrifft, finden sich in der unten genannten Schrift von Menlik ı6 Aktenstücke und Briefe. Über Konrad berichtet ein Nürnberger: Anonymi de Conrado, Milicio alioque Praedicatore Relacio bei Sedläk, Mag. Jan Hus, p. ı*—3* der Beilagen. Von Bearbeitungen s. außer Palacky und Neander G. Lechler, Johann v. Wiclif und die Vorgesch. d. Reformation, II, ıııff. Tomek, Deöjepis Prahy (Gesch. von Prag), III, 286ff. F. Mencik, Konrad Waldhauser, mnich fädu sv. Augustina (K. W. Mönch d. Augustinerordens), Abh. d. kgl. böhm. Ges. d. Wissensch., VI, Folge XI.

2) Benesch, SS. rer. Boh., II, 403. Anonymi de Conrado: Audivi et novi in puericia mea dominum Conradum Waldhauser ord. s. Aug., cuius in omnibus supra et infra scriptis condicionibus non vidi similem nec audivi, neque in Ala- mania neque in Bohemia nec in Bavaria nec in Francia... Ecce illum nosti predicatorem in sermone potentem et opere, virum laudabilis vite et multum acceptabilis in auribus cunctorum auditorum....

TS TEE

Über seine ersten Lebensverhältnisse, Jugend und Erziehung ist wenig bekannt. In frühen Jahren muß er ins Kloster eingetreten sein. Dort erhielt er wohl auch seine erste Ausbildung. Um 1343 wurde er zum Priester geweiht. Führte ihn sein Eifer für die Wissenschaft 1349 nach Bologna, so bot ihm das Jubeljahr 1350 Gelegenheit, Rom zu sehen. In die Heimat zurückgekehrt, widmete er sich an verschiedenen Orten, zumeist in Wien, seinem geistlichen Berufe, vor allem dem Predigtamte, für das er eine her- vorragende Begabung bekundete: Denn eine wunderbare Kraft der Rede, die ihre Wirkung niemals verfehlte, stand ihm zu Gebote. Schon als er in Österreich predigte, sagten neidische Bettelmönche mit hämischer Zwei- deutigkeit, hat er das Volk in Aufregung versetzt, und als er später seine Predigten in Prag in der Galluskirche hielt, vermochte sie nicht alle Zu- hörer zu fassen, so daß er genötigt war, auf freiem Markte zu predigen. Seine Tätigkeit brachte ihn in die Nähe des österreichischen Hofes und in Beziehungen zu dem Bischof Gottfried von Weisseneck von Passau. Seine Beredsamkeit erregte die Bewunderung Karls IV., der ihn bei seinem Aufenthalt in Wien 1357 kennen lernte und ihn durch Vermittlung des mächtigen südböhmischen Herrenhauses der Rosenberg nach Prag zog, wo er 1358 die Stelle eines Pfarrers bei St. Gallus in der Altstadt erhielt. Hier begann er seine Tätigkeit als Prediger und Sittenrichter, die gleich anfangs großes Aufsehen erregte. Furchtlos und von evangelischem Eifer beseelt, geißelte er die Sittenlosigkeit in den vornehmen und reichen Kreisen, ihren Hochmut, ihre Üppigkeit und Habsucht. Hatten die Bettel- orden ihn anfänglich willkommen geheißen, so wurden sie nun um ihren Einfluß besorgt, und wiewohl sie früher untereinander uneins gewesen, verbündeten sie sich gegen den kühnen Fremdling, der gegen ihre unersätt- liche Habsucht, gegen das Unwesen, das sie mit den Reliquien trieben, oder gegen den dummen Stolz zu Felde zog, mit dem sie sich auf die Heilig- keit ihrer Stifter steiften. Sie schalten ihn einen Friedensstörer und Ab- trünnigen seines Ordens, weil er eine weltliche Pfarre innehabe. Ver- gebens versuchte Simon von Langres, der General des Predigerordens, den der Papst nach Prag gesandt hatte, den Streit beizulegen. Die Fortsetzung des Prozesses wurde dem Erzbischof überlassen. Die Bettelmönche stellten nun wider Konrad 24 Artikel zusammen, die den Sinn seiner Reden aber völlig entstellten, je weniger sie ihre Anschuldigungen zu beweisen ver- mochten, um so heller strahlte der Ruhm des Predigers, dessen Früchte jetzt erst zu reifen begannen. Immer bedeutender werden seine Erfolge: Die Wucherer verzichten auf ihren ungerechten Gewinn, verbuhlte Lebe- männer werden zu sittsamem Lebenswandel geführt, Frauen legen ihre kostbaren Schleier, die mit Gold und Perlen besetzten Gewänder ab und einfache Tracht an, ja, schon findet Konrad unter den Geistlichen selbst Nachahmer: nur daß diese zuweilen übertreiben und den Klerus überhaupt

Zee

in Mißachtung bringen. Im Jahre 1361 Vorstand der Thomaskirche auf der Kleinseite, erhielt er zwei Jahre später die Allerheiligenpfarre in Leit- meritz, durfte jedoch mit Einwilligung der Oberen in Prag verbleiben. Aufs neue erhoben sich seine Widersacher, um ihn zu verdrängen, immer ge- hässiger wurden ihre Anschuldigungen, sie warfen ihm gewinnsüchtige Motive für sein Verbleiben in Prag vor, schalten ihn Antichrist und ver- breiteten ihre Verleumdungen in seine österreichische Heimat an den Hof Rudolfs des Stifters. Einen Ruf dahin lehnte Konrad im Hinblick auf sein Verhältnis zum Kaiser, der ihn zu wichtigen Geschäften verwendete, zwar ab, unterließ aber nicht, seine Landsleute über die Machenschaften seiner Gegner aufzuklären. Zu diesem Zweck schrieb er seine Apologie. Zu Beginn 1365 zum Pfarrer an der großen Teynkirche in Prag ernannt, dehnte er sein reformatorisches Wirken nicht bloß über die böhmische und salzburgische Erzdiözese aus, sondern suchte den Kaiser auch zu kraft- vollem Einschreiten in die verrotteten Verhältnisse Italiens zu bewegen. In seiner Tätigkeit als Prediger sah er sich auch jetzt noch durch seine alten Feinde behindert. Als er am ı. Mai 1365 in Saaz predigte, fingen die Minoriten, um seine Stimme zu übertönen, mit allen Glocken zu läuten an. Der Kampf gegen die Bettelmönche. ging auch in den nächsten Jahren weiter. Konrad fand seinen Trost in der Freundschaft gelehrter Männer, von denen einzelne, wie der Magister Adalbertus Ranconis, mit ihm im Briefwechsel standen, andere, wie Militsch von Kremsier, von ihm ihre stärk- sten Anregungen erhielten. Leider sind jene Predigten, durch die er in so erschütternder Weise auf seine Zuhörer wirkte, nicht erhalten geblieben. Konrad starb am 8. Dezember 1369, tief betrauert nicht bloß von den deutschen, sondern auch von den tschechischen Bewohnern von Prag.

Jene Predigten, die wir heute als aus seiner Feder stammend kennen, sind vor Studierenden gehalten und dann auch wesentlich zu Schulzwecken niedergeschrieben worden: Angehende Priester sollten aus ihnen Anre- gung und Stoff für den eigenen Vortrag erhalten, und diesem Zweck haben sie noch viele Jahrzehnte nach dem Tode ihres Verfassers gedient. Denn sie wurden nicht bloß in Prag von den Klerikern sehr eifrig gesammelt!), sondern verbreiteten sich auch über Mähren, Schlesien, Österreich und Tirol bis in die Schweiz.?)

1) Cod. 285 des böhmischen Museums, 244: Ferias Pentecostales de postilla Konradi quere circa Quadragesimales dictorum suorum, si illa poteris habere. Ego autem non vidi eadem sed tantum Milicii.

2) Über Handschriften in Böhmen s. Palacky, Vorläufer, S. ı6, Truhlar, Cata- logus codd. manuscript. Latin. Postilla: Nr. 89, 151, 656, 835, 1106, 1275, 1276, 1284, 2625, Apologie, 2625, über mährische Dudik im Archiv f. österr. Gesch. XXXIX, über tirolische Friedjung, Karl IV. S.ı7ı. In Breslau finden sich sowohl in der Stadt- als auch in der Un.-Bibl. einzelne Handschriften; über St. Galler Handschriften s. das Verzeichnis der Handschriften der Stiftsbibliothek in St. Gallen, Nr. 714 und

EN

Da Konrad die Sammlung seiner Predigten auf den Wunsch der Prager Studierenden angelegt hat, so wird sie auch in den Handschriften als die Postille der Prager Studenten bezeichnet. In der Mehrzahl der Handschriften zählt man im ganzen 73 Predigten. Die erste von ihnen ver- breitet sich über den Zweck der Sammlung. Was er vor dem Volke ‚‚mit eigenem Munde“ gepredigt und was er „mit vergänglicher Stimme‘ den Studierenden vorgebracht habe, das will er der dauernden Schrift anver- trauen. Aus diesen Worten könnte man entnehmen, daß die Predigten vor einem größeren Publikum gehalten worden seien, bevor er sie in die latei- nische Form gegossen. Dem ist jedoch nicht so. Dagegen spricht der ge- lehrte Apparat, mit dem sie Konrad versehen hat. Was soll es dem großen Publikum, wenn er in einer Predigt über die Zucht in ausführlicher Weise die Belagerung von Numantia erzählt, die einzelnen Feldherren anführt, die mit Schande bedeckt, abziehen mußten, bis es endlich dem Puhlius Cornelius Scipio gelang, sein Heer an Zucht zu gewöhnen, oder wenn er in einer anderen Predigt den ganzen Streit zwischen der griechischen und römischen Kirche über den hl. Geist in sehr gelehrter Weise auseinander- setzt ?

Schon die Einleitung zu seinen Predigten ist ähnlich gehalten. Sowie das Sonnenjahr, liest man da, in vier größere Zeiträume geteilt wird, so zerfällt die Zeit von Adam bis zum Weltuntergang gleichfalls in vier größere Abschnitte. Die Zeit von Adam bis Moses sei die Zeit des Dunkels, die der Dämmerung reichte von da bis Christus, die Zeit Christi ist die der Versöhnung, der endlich die Zeit der Pilgrimschaft folge, die bis zum Ausgang aller irdischen Dinge reiche. Nach diesem System wird auch das Kirchenjahr in vier Teile gegliedert. Diese Gliederung setzt aber nicht nur eine gute Kenntnis der Bibel, sondern auch der Liturgie voraus. Noch genauer wird dies Verhältnis bestimmt, wenn man etwa die Predigt be- trachtet, die er am Beginn der Österperiode hält. An dieser Stelle finden wir förmlich einen gelehrten Vortrag über die Bedeutung des jüdischen Paschafestes und die Osterberechnung.)

Das Gefüge der einzelnen Predigten ist ein durchaus kunsrediien Alle sind sorgfältig gegliedert. Der Zweck der Schulpredigten tritt auch äußerlich hervor. Er spricht die Studierenden an: ‚Teuerste‘‘ oder „geliebte Jünglinge“. Er nimmt seine Belege nicht selten aus studentischen Bräuchen; auch fehlt es nicht an Hindeutungen praktischer Art für den me Prediger: Wenn dir Zeit bleibt, sagt er an einer Stelle, so

805, in Kiel bei Sedläk, 67. Man findet ihrer auch sonst in den einzelnen Klösterr und Bibliotheken Österreichs, z. B. in Graz (Cod. II, 597), Wien (Cod. 3687, 3691 3692, 3722, 4246, 4385, 4392; in Codd. 3691 und 3692 auch ein ordo gestorum etc cum concordanciis evangelistarum.

1) Cod. Vindob., Nr. 3691, 134b.

magst du dies Evangelium nach dem vorhergehenden predigen, sonst nimm es nachmittags vor oder wie es am besten der Beschaffenheit deiner Zuhörer entspricht. An einer anderen Stelle sagt er: Wie es Sitte sei, daß der Studierende nach Vollendung seiner Studien von deren Erfolgen in öffentlicher Disputation Zeugnis ablege, wobei es jedermann freisteht, den Disputanten etwaigen Irrtums zu zeihen, so dachten die Juden den Herrn in der Rede zu fangen. Oft knüpft er seine Predigt derart an die vorher- gehende an, daß er deren Inhalt nochmals in Kürze durchaus schulmäßig zusammenfaßt. Stark nach dem Katheder klingt es, wenn er das Verhält- nis der Passionsgeschichte bei den einzelnen Evangelisten auseinander- setzt: Matthäus erzähle sie ausführlicher und stimme mit Markus überein, Lukas lasse dagegen verschiedenes aus, weil jene den Gegenstand bereits behandelt haben, berichte anderseits verschiedene Einzelheiten, die ihnen fehlen, Johannes endlich habe am wenigsten vom Leiden Christi geschrie- ben, weil er sein Evangelium zuletzt abgefaßt und gleichfalls vorausgesetzt hat, daß die andern schon genug berichtet hätten.

Wenn Konrad mit dieser Predigtsammlung einem ausgesprochenen Bedürfnis der Studenten in Prag entgegenkam, so lag es ihm gleichwohl fern, einen Faulenzer zu schaffen. Man müsse, sagt er, seine Predigten studieren, um sie recht verstehen zu können, denn sie seien gar lang und enthalten manche dunkle Stellen alter Kirchenväter und Kirchen- lehrer.

Was den Inhalt der Predigten anbelangt, wird man den Zweck, dem sie dienen, im Auge behalten müssen: Seine Hörer sollten dereinst Lehrer und Priester des Volkes sein, um selbst den Platz einzunehmen, auf dem der Prediger nun steht. Diesem Zwecke entsprechend sind sie nach der ethi- schen Seite stark ausgeprägt, dogmatische Erörterungen kommen selten vor, polemische fehlen nicht ganz!) und richten sich meist im allgemeinen gegen das Böse überhaupt. Die sittliche Ausbildung der Jugend liegt ihm am meisten am Herzen. Einer seiner ersten Sätze lautet: Wer ein guter Prediger werden will, muß zunächst ein guter Mensch sein.?) In einem anderen Sinne biete er übrigens auch seine Postille den Studierenden nicht an: Dem bösen Menschen könne kein Buch dazu verhelfen, ein guter Redner zu werden. Dementsprechend eifert er seine Studenten zu den Tugenden an und sucht ihnen die üblen Folgen einzelner Laster darzulegen; nament- lich spornt er sie zu großem Eifer in der Verrichtung ihrer geistlichen Hand- lungen an. Seine Darstellung ist schlicht, oft von drastischer Derbheit, so wenn er erzählt, daß die Heiligen mitunter zu handgreiflichen Mitteln

1) So findet sich eine Predigt mit einer Spitze gegen die Mißbräuche bei den Bettelmönchen, gegen das Pochen auf die Verdienste und die Heiligkeit der Ordens- stifter.

2) Vis fieri bonus doctor, efficiaris prius bonus homo.

Loserth, Huß und Wiclif. 3

EA

ihre Zuflucht nehmen, um den Eifer der Geistlichen anzuspornen.!) Unter den Lastern geht er namentlich der Habgier und der Zuchtlosigkeit zu Leibe. Darum ist er ein so heftiger Gegner der Schenkungen an die Bettel- mönche, weil sie durch jene hervorgerufen sind und diese befördern. In den Schulpredigten gibt es darüber kaum Andeutungen, dagegen die An- merkung, daß die Gabe, die man verschenke, an Bedingungen geknüpft sein müsse, die Geber und Nehmer zu erfüllen haben. Das Ansehen des geistlichen Standes sucht er in jeder Weise hochzuhalten: Ein jeder Pre- diger beginne sein Wirken in seinem Kirchenspiele so, daß sein guter Ruf sich über die ganze Erde verbreite und sich in die Herzen aller Menschen einpräge.?)

Neben diesem ethischen Zweck verfolgen seine Predigten noch einen anderen, der ihm noch über jenem steht. Er versieht nämlich die einzelnen Sonntagsevangelien mit einem fortlaufenden Kommentar: Satz für Satz in dem Evangelium vorwärtsschreitend. Im Eingang einzelner Predigten wird zunächst die Bedeutung jedes einzelnen Sonntags auseinandergesetzt. Die Länge der Predigt und ihr innerer Gehalt ist der Bedeutung des betref- fenden Sonntags angemessen. Bei der Beliebtheit, deren sich diese Samm- lung ihrer Zeit und in den folgenden Jahrzehnten erfreute, wurde sie nicht nur rasch verbreitet, sondern erfuhr auch manche Veränderung. Schon Konrad hatte den Mangel seiner Predigten darin erkannt, daß einzelne zu umfangreich seien; diese wurden gekürzt und so entstand eine wesent- lich knappere Redaktion. Die sachlichen Unterschiede beider sind uner- heblich, meist sind es rein formelle Teile, die weggelassen sind; in der ge- kürzten Redaktion geht er ohne Umschweife auf den Kern der Sache los.

Wie Konrad dem angehenden Prediger eine Reihe von beherzigens- werten Winken und praktischen Fingerzeichen gibt, so ist er überhaupt geneigt, eine Theorie über die Kunst des Predigens aufzustellen: Ein jeder Prediger hüte sich vor Weitschweifigkeit, das sei einer der übelsten Fehler, in den man verfallen kann. Er selbst ist ja nicht frei von der Furcht, daß seine Predigten zu lang geraten seien, doch tröstet ihn der Gedanke, daß der Einsichtsvolle sie studieren und wenn es not tue, auch kürzen werde: wenn erst der überfließende Schaum von ihnen hinweggenommen sei, dann werden sie sich als recht brauchbar erweisen; er vergleicht sie

1) Legitur de beata Chunegunda, que, cum in quodam monasterio sanctimo- nialium a se fundato quondam abbatissam haberet negligentem... quodam die dominico.... manu sua dedit alapam deren Spuren die Äbtissin bis an ihr Lebens- ende tragen mußte.

2) Daß er selbst danach handelte wird man den Worten des Zeitgenossen Benesch von Weitmühl entnehmen: Predicatione sancta sua correxit mores hominum patrie nostre, ita ut multi, obmissis vanitatibus saeculi, sedula mente Deo servirent. Daß Konrad hie und da die Grenzen seiner Tätigkeit überschreiten mochte, s. bei Men£ik, a.a.0. 5.28,

a er

mit dem Fleische, das nicht gut sei beim ersten Anschwellen, sondern erst, wenn es gargekocht sei. In einem eigenen Werke hat er eine Theorie über die Kunst zu predigen aufgestellt. Anders müsse man, sagt er da, den Mönchen predigen, anders den Laien, anders den Bürgern und wieder anders den Bauern, je nach dem Bedürfnis der einzelnen Stände, nach deren Verstand und Fähigkeiten. Man schelte sie wegen einzelner Sünden, der Prediger schmeichle den Hörern nicht, sondern halte ihnen ihre Ver- gehen strenge vor. Beim Tadel müsse man jedoch vorsichtig sein, beson- ders warnt er davor, den Laien die Laster des Klerus aufzudecken. Man erfährt freilich aus den wider ihn erhobenen Anklagen, daß er sich nicht immer seine Lehren gegenwärtig gehalten.

Man würde fehl gehen, wollte man aus diesen Schulpredigten die volle Bedeutung des Mannes ermessen, der in so scharfer Weise gegen die Fehler der Gesellschaft zu Felde zog. Er berührt nicht einmal die Zeitverhält- nisse. Spricht er von den Turnieren, die an den Höfen der Fürsten zur Fastnachtzeit stattfinden, so geschieht es nicht etwa in der Absicht, gegen die Verschwendung der Fürsten loszuziehen, ihm ist es um einen Vergleich zu tun: Wie die Fürsten in den Faschingstagen durch ihre Ritter und Hof- diener festliche Spiele aufführen lassen, so haben auch jene beiden gewal- tigsten Fürsten, Gott und der Teufel, um jene Zeit ihre Turniere.

Weitaus bedeutsamer sind gewiß jene Predigten gewesen, die er vor einem größeren Publikum gehalten hat, von denen leider keine einzige auf uns gekommen ist, so daß man billig bezweifeln darf, ob sie jemals aufgezeichnet wurden.!) Soweit wir über Konrad unterrichtet sind, darf man ihn nicht auf eine Linie mit den Mystikern stellen, denn ihm fehlt die Tiefe der Gottes- innigkeit, wie wir sie bei seinem Nachfolger Militsch finden; von ihnen scheidet ihn ferner seine durchaus praktische Richtung, wie sie schon in den Schulpredigten hervortritt. Man weiß aus gleichzeitigen Berichten, daß seine Strafreden vornehmlich gegen den Luxus der Frauen, die Leicht- fertigkeit und Eitelkeit der Jugend und den Wucher gerichtet waren. Der Apologie kann man noch einige seiner gegen die Bettelmönche gerich- teten Sätze entnehmen: Es sei eine Torheit, zum Haupte der hl. Barbara zu laufen, denn dieses befindet sich nicht in Prag, sondern in Preußen.?) Oder er mahnt seine Zuhörer: Den Armen wollt ihr nicht geben und werfet

den Mönchen zu, diesen dicken Schwätzern, die mehr haben, als sie haben

!) In Breslau findet sich eine Handschrift, die Predigten Konrads, und in ihnen einige schärfere Ausfälle gegen die Geistlichkeit seiner Zeit enthält.

2) Er erläuterte allerdings den Satz: Quod homines deciperentur per reliquias, cuius signum esset, quod in Prussia diceretur esse caput S. Barbare et eciam quidam dicerent se in Praga habere; cui dicto in responsionibus hoc addidi et eciam nunc addo, quod, sicut heu verum est, quod propter lucrum diliguntur sanctorum corpora sepe plus quam diligatur propter celeste regnum eorum vita, cum tamen sancti non fecerunt sanctitatem, sed sanctitas sanctos.

3*+

a N

sollen. Befände sich doch in jedem ihrer Kollegien nur einer, der solche Gaben verdienen würde, die solche Leute durch ihre Gurgel hinabschütten.

Konrads Persönlichkeit muß eine bedeutende gewesen sein, wenn es ihm als Ausländer gelang, so mächtige Erfolge zu erzielen und die Erin- nerung an ihn noch nahezu ein halbes Jahrhundert wachblieb. Doch nennt ihn von den jüngeren nur noch Andreas von Brod!); daß Huß sich mit seinen Schriften beschäftigt hätte, dafür ergeben sich keine Anhalts- punkte.

Noch viel mächtiger als Konrad von Waldhausen hat ein anderer Prediger auf seine Zeitgenossen in Böhmen eingewirkt Militsch von Kremsier?), also gleich Konrad kein gebürtiger Böhme. Wollte man die sog. Vorläufer der hussitischen Bewegung nicht der Zeitfolge nach, sondern nach den Ergebnissen ihrer Wirksamkeit beurteilen, dann müßte Militsch zweifellos an die erste Stelle gesetzt werden. Militsch so lautet sein Taufname Matthias von Janow übersetzt ihn mit carissimus, der Liebste wurde zu Kremsier in Mähren, man weiß nicht, in welchem Jahr, von armen Eltern geboren. Es wurde bemerkt, daß er kaum an einer deutschen Schule studiert haben dürfte, da er erst spät, sein Biograph sagt im Greisenalter, die deutsche Sprache erlernte, eine Angabe, die durchaus unrichtig ist. Wenn wir Militsch in der Kanzlei Kaiser Karls IV. beschäf-

1) Geschichtschr. der huss. Bewegung, II, 40, Doc. mag. Joannis Hus ed. Pa- lacky, 520.

2) Zur Lit. über Militsch s. Zibrt, Bibliographie, II, 1117/8, RE°, unter Militsch, Quellen zu seiner Geschichte gibt es in lateinischer, deutscher und tschechischer Sprache. In lat. Sprache existieren zwei Predigtsammlungen, Graciae Dei und Abortivus. Die Sermones synodales bilden einen Teil des Abortivus. Daneben finden sich vereinzelte Predigten und eine Sammlung von Zitaten. Sein libellus de Anti- christo, herausg. von Mencik in Vestnik (Sitz.-Ber. d. kgl. böhm. Ges. d. Wiss.) 1890, S. 328—336, von V. Kybal in Matthias von Janow, Regulae Veteris et Novi Testa- menti, III, 368&—381. Seine Briefe sind nur teilweise, seine Predigtsammlung, die Gebete, die es im 14. Jahrhundert gab, nicht erhalten. Andere Schriften werden ihm mit Unrecht zugeschrieben. Zu seinen Biographen gehört einer seiner Schüler, der ihn nach Avignon geleitete. Dessen Vita venerabilis presbyteri Milicii praelati ecclesiae Pragensis in den Fontes rer. Boh., I, 401—430. Einen Bericht über das Leben des Militsch schrieb Matthias von Janow in dem oben genannten Werke als Narracio de Milicio, gedruckt in den Geschichtsschr. d. huss. Bewegung, II, 40—46 (mit Fehlern), in den FF. rer. Boh., I, 431—436 (mit tschechischer Übersetzung) und jetzt in der Ausgabe von Kybal, III, 358—367. Ein Bruchstück über das Zeugen- verhör gegen Militsch bei Mencik wie oben, S. 317. Die Schreiben Gregors XI., s. da- rüber Loserth, Studien zur Kirchenpolitik Englands (Sitz.-Ber. d. Wiener Ak., 136, $. 116). Raynald. Ann. eccl. a.a., 1374. Die zwölf Artikel in Palacky, Vorläufer, S. 39—43. Die Articuli declaratorii contra eundem, S. 43—46. Neuere Literatur: Tomek, Gesch. v. Prag, III (tschechisch). Palacky, Vorläufer, wie oben. Gesch. Böhmens, III, 1. Neander, 4. A., IX, 221—233. Lechler, Joh. v. Wiclif, II, 118—122, Klicman, Studie o Milicovi. Listy phil., XVII, und dessen Artikel im Slovnik naucny, S. 342. Im allgemeinen Werunsky, Geschichte Karls IV. und seiner Zeit, III.

m Re

tigt sehen und ihn durch zwei Jahre mit dem Hofe des Kaisers in deutschen Gegenden, vornehmlich in Nürnberg finden, so muß er schon damals des Deutschen mächtig gewesen sein, ohne dessen genaue Kenntnis er keine Aufnahme in die deutsche Reichskanzlei gefunden hätte. Ob er in Deutsch- land oder in Italien studiert oder ob er, was das wahrscheinlichste ist, seine Ausbildung in der Heimat erhalten, darüber ist nichts Sicheres überliefert. Man nimmt an, daß er um I350 zum Geistlichen geweiht worden und dann in die Dienste des Markgrafen Johann von Mähren eingetreten sei. Er kam dann in die kaiserliche Kanzlei!) ; dort war er 1358—1360 als Regi- strator, die beiden folgenden Jahre als Korrektor tätig. In dieser Eigen- schaft begleitete er den Kaiser ins Reich, was ihm Gelegenheit bot, der Stellung des Kaisertums als solchem eine eingehendere Betrachtung zu widmen. Er nennt es als das Beispiel ‚eines in sich geteilten Landes“. Der Kaiser habe keinen Bissen Brot, den ihm nicht Böhmen gewähre. 1362 wurde Militsch Kanonikus und Schatzverwalter der Prager Kirche.

Vom Erzbischof zum Archidiakon ernannt, erfüllte er als solcher seine Pflichten mit größter Gewissenhaftigkeit: ‚‚er begehrte von den Pfarrern, die er beaufsichtigte, nichts als ihr eigenes und das Seelenheil der ihnen anvertrauten Gemeinden“. In asketischer Selbstzucht trug er ein härenes Gewand auf bloßem Leib. Des Treibens der Welt müde, legte er (1363) seine Ämter nieder, angeregt wie einst der hl. Franziskus durch die Worte des Herrn von der evangelischen Armut.?) Der Erzbischof es war der treffliche Arnest von Pardubitz sah ihn ungern scheiden. ‚Was könnt Ihr, Herr Militsch‘“, sagte er ihm, ‚‚wohl besseres tun, als Eurem Herrn helfen, dieihm anvertraute Gemeinde zu weiden. Militsch lehnte das nicht unbedingt ab; . er war entschlossen, sich ganz der Predigt zu widmen, doch wollte er erst seine Tauglichkeit hierzu erproben und zog nach Bischof-Teinitz, wo er sich in seiner Tätigkeit übte und voll von Entsagung selbst auf jene un- schuldigen Vergnügungen verzichtete, die ihm der schattige Garten des dortigen Pfarrhofes gewähren konnte. Schon nach einem halben Jahre konnte er die Stätte seines Wirkens in Prag aufschlagen: er predigte erst in St. Niklas auf der Kleinseite, dann bei St. Egid in der Altstadt. Sein Zuhörerkreis war anfänglich nur klein, denn man war in Prag an glänzende Kanzelredner gewöhnt, während er eine in den besseren Kreisen der Bürger wenig geachtete Sprache redete.?) Sein etwas linkisches Gebahren, seine

1) In qua erat singulariter famatus et dilectus. Narratio de Milicio, S. 358.

2) Ego (sagt Janow) vidi ipsum, cum nichil prorsus possideret, cum omnia relique- rat propter Christum, tamen ducentas personas de mulieribus penitentibus sua sol- licitudine nutrire et vestire et habundanter omnibus procuravit cottidie ministrari, 57300:

3) Man darf aus dem Satz des Biographen: licet ab aliquibus propter incon- gruenciam vulgaris sermonis nicht mit Palacky, Neander und noch mit Bachmann

RT DER

Vergeßlichkeit bei der Verkündigung der Kirchenfeste erregten anfangs viel Heiterkeit. Seine Freunde rieten ihm zum Rückzug. Gebe es doch in Prag so bedeutende Prediger und wie winzig sei ihr Erfolg. Militsch blieb fest. Allmählich zog er sich eine Gemeinde heran, die zu ihm hielt. Seine strengen Worte gegen den Hochmut der Menge, ihre Habsucht und Un- zucht schlugen in den Herzen vieler Wurzel: Weiber legen ihre stolzen Gewänder, die mit Gold und Edelsteinen verzierten Hauben und anderen Putz ab, öffentliche und geheime Sünder tun Buße usw. Von seltenem Eifer erfüllt, predigte er zweimal, ja, wenn es Not tat, selbst vier- oder fünfmal des Tages.!) Der Zudrang des Volkes wird um so stärker, je inniger seine Beziehungen zu ihm werden. Darüber hat er sich in seinen Predigten offen ausgesprochen. Es bedarf keiner gelehrten Prediger: ein simpler richtet oft mehr aus als diese. Neben der Predigt zieht ihn das Studium der hl. Schrift am meisten an: ‚Von ihr wurde er weitaus heftiger entzündet, nach ihr sehnte er sich mehr als nach körper- licher Nahrung“.

Und doch, so groß seine Erfolge bisher waren, sie gewährten ihm nicht die gewünschte Befriedigung. Er wollte jene Weisheiterlangen, die niemanden trügt, aber auch selbst nicht getäuscht wird, wollte die Mittel kennen lernen, durch die er sich selbst und der Kirche zu helfen vermöchte. Eine innere Stimme ruft ihm zu, das Kreuz auf sich zu nehmen, sich in einen strengen Orden zurückzuziehen, der Predigt zu entsagen, ‚weil ihm hierzu der innere Beruf fehle“. Mit Mühe bringen seine Ratgeber und man darf hier an seinen Freund und Gönner Konrad von Waldhausen denken ihn von solchen Plänen ab, aber so weit ringt er sich durch, daß er durch längere Zeit das Predigen einstellt. Bald kommen Anfechtungen über ihn, deren er aus eigener Kraft nicht Herr zu werden vermag. Er denkt an die Weissagungen vom Antichrist und seiner Ankunft. Aufs tiefste ergriffen, liest er die Worte vom Gräuel der Verwüstung an hl. Stätte und von den Anzeichen des kommenden Weltgerichtes. Er möchte wissen, wann dieses erwartet wird. Vergebens forscht er bei den jüdischen und christlichen Ge- lehrten. Er entschließt sich, zum Papst zu ziehen, dieser allein kann seine Zweifel lösen.) Die Kurie verlegt ihren Sitz von Avignon nach Rom, und auf dem päpstlichen Stuhl sitzt Urban V., der beste der avignonesischen Päpste, schon bei Lebzeiten ein heiligmäßiger Mann.

herauslesen wollen, daß er wegen des ungewöhnlichen Klanges seines mährischen Dialektes verlacht wurde. Es war eben bis dahin etwas Ungebräuchliches, in tschechi- scher Sprache zu predigen.

1) Die Narratio de Milicio sagt: Dives in verbo erat Milicius. Quinquies in die predicavit, semel in latino sermone, semel in theutuncio, ter in bohemico.

2) Milicius, De Antichristo, p. 370: Eccenemo potest auferre de corde meo istam materiam nisi dominus papa. Ideo vado Romam et ibi aperiam sibi cor meum et quicquid mandaverit, faciam.

INS

So zieht Militsch im Frühlinge 1367 nach Rom. Dort kommt ihm die Erleuchtung, wie die danielischen Tage zu verstehen seien. Wenn man zu den 1335 Jahren bei Daniel (XII, 12) denn das sollen Daniels ‚Tage‘ bedeuten, jene 42 Jahre addiert, die vom Tode Christi bis zur Zerstörung Jerusalems verflossen sind, gelangt man auf das Jahr 1367: Kein Zweifel, daß dies das Jahr der Vollendung und darum das Ende nahe ist. Und nun treffen auch die Anzeichen des Unterganges zu, wie sie das Evangelium schildert, denn mehr als jemals früher ist die Liebe der Menschen erkaltet. Er behält sein Geheimnis vorläufig bei sich. Da sich des Papstes Ankunft verzieht, will er nach Avignon ziehen. Da ruft ihm eine innere Stimme zu, mit seinen Ansichten nicht zurückzuhalten. In einer Ankündigung, die er an die Kirchentore von St. Peter heftet, verkündet er die Ankunft des Antichrist. Klerus und Volk mögen für den Papst und Kaiser beten, damit sie die hl. Kirche so ordnen, daß das gläubige Volk in Sicherheit seinem Schöpfer dienen könne. Militsch kam nicht dazu, seine Predigt zu halten. Die Inquisition erhielt Kenntnis von seinem Vorhaben und setzte ihn gefangen in das Minoritenkloster Ara Coeli auf dem Kapitol. Mit der Folter bedroht, wenn er mit seiner Meinung zurückhalte, schrieb er den Libellus de Antichristo im Gefängnis nieder. Von einer durch- greifenden Reform der Kirche ist da keine Rede. Dabei unterwirft er sich und sein Büchlein ganz dem Urteil des Papstes, denn ‚‚diesem allein sei gegeben, Geist und Schrift zu prüfen‘. Er erwies sich sonach von guter Ge- sinnung und wurde denn auch nach der Ankunft des Papstes (Oktober 16) aus der Haft entlassen, ja, er gewann sogar das Wohlwollen des Kardinals von Albano, Ange Grimauds, Bruders des Papstes. Vor seiner Abreise von Rom überreichte er aber doch noch dem Papst ein Schreiben, voll von Klagen über die schweren Gebrechen in der Kirche. Zu ihrer Heilung tue ein allgemeines Konzil not. Gute Prediger müssen ausgesandt werden, um das Volk zu belehren. Auf seine Antichriststudien kam er nicht mehr zurück. Hatten sie ihn doch schon, ehe er nach Rom ging, in schwierige Lagen versetzt. Wie Matthias von Janow berichtet!), ließ er sich einst in einer Predigt sie handelte wohl wieder von der Ankunft des Antichrist von seinem Eifer so sehr hinreißen, daß er vor der versammelten Menge, mit dem Finger auf den Kaiser Karl hinweisend, in die Worte ausbrach: „Das ist der große Antichrist‘‘, wofür er eine Zeitlang hinter Schloß und Riegel büßte.

Heimgekehrt wird er von seiner Gemeinde mit Jubel begrüßt, zum Ärger der Bettelmönche, die von ihren Kanzeln herab schon triumphierend gemeldet hatten, Militsch würde verbrannt werden. Mit noch größerem Eifer als vordem wirkte er als Prediger und Lehrer des Volkes. Noch ein- mal, man weiß nicht, aus welchem Motiv, zog er nach Rom. Noch ehe er

1) Narratio de Milicio, cap. 7.

ee

zurückgekehrt war, war Konrad von Waldhausen gestorben, und nun be- gann Militsch als sein Nachfolger an der Teynkirche zu predigen; dort in deutscher, in St. Egid und seit 1372 in seiner Stiftung Jerusal'm in tschechischer Sprache. Hierbei machte die Kühnheit, mit der er der unwürdigen Geistlichkeit, vor allem den Bettelmönchen, zu Leibe ging, Aufsehen.) Es mochte Leute geben, die schon früher hinter seinen Pre- digten Ketzerei gewittert hatten. Damals waren in Prag zwei Gelehrte von Ruf: Adalbertus Ranconis de Ericinio?), dessen Huß als des zierlich- sten Redners gedenkt, und der Dekan Wilhelm von Hasenburg?). Ihnen übergab der Erzbischof des Militsch Predigten zur Durchsicht und Prü- fung. Adalbert lehnte ihre Verbesserung mit den schönen Worten ab: Es kann nicht meine Aufgabe sein, Werke einer Verbesserung zu unter- ziehen, die unter der Einwirkung des hl. Geistes verfaßt worden sind. Diese Predigten wurden fleißig kopiert und im ganzen Land und weit über die Grenzen Böhmens hinaus verbreitet.?) Sie enthielten, was die Menge anzog: so wenn Militsch die Liebe und den Schmerz der Gottes- mutter schildert, wie in ihrem Herzen doppelte Liebe lebt, die zu ihrem Sohn und zum ganzen Menschengeschlecht, und doppelter Schmerz es zerreißt, der über den Tod ihres Sohnes und über unsere Verdammnis, wie aber die Liebe zum Menschengeschlecht selbst den Schmerz über den Tod ihres Sohne überragt.

Den Zeitgenossen erschien es wie ein Wunder, daß er für seine Predig- ten alles das in wenig Augenblicken zusammenstellte, wozu selbst gelehrte Männer Monate brauchen. Dabei ist seine Predigt nicht etwa bloß eine Zusammenstellung von Zitaten. Seine Beispiele entnimmt er der Natur und dem Leben des Alltags. In kräftigster Weise weiß er die Laster zu strafen, und die sittliche Kraft seines Wesens erzielte von Jahr zu Jahr wachsende Erfolge. Es war sein Ruhm, über 300 öffentliche Dirnen zu unbescholtenem Leben und ehrbarer Hantierung zurückgeführt zu haben. An der Stätte, wo bisher der Venus geopfert worden war (im Volksmund Venedig genannt), errichtete er mit Unterstützung des Kaisers und anderer frommer Personen eine der hl. Magdalena geweihte Stiftung für gefallene und sodann büßende Frauen, Jerusalem genannt, wo diese früheren Ge-

1) Hic prelatos summos, archiepiscopos et episcopos corripuit viriliter.

ES Unten.

3) S. über ihn Benesch v. Weitmühl, ad annum 1370.

*) Libri... sunt maxime quantitatis, scilicet sermones, quos „Abortivum‘“ propter humilitatem vocitavit et postille omnium evangeliornm ..., quibus ‚‚Gracie dei‘ nomen imposuit... Der älteste Bestand der Prager Universitätsbibliothek, und zwar die für die böhmische Nation bestimmte Abteilung, hatte außer den Predigten Konrads (alte Sign., O, 58, 59) auch jene des Militsch (O, 63, 66), dann dessen Epp.

ad dominos Rozberienses (I, 15). S. meine Abhandlg., der älteste Katalog der Prager Univ.-Bibl., MIÖG. XI, 310.

a ae

schöpfe der Sünde, ohne in einem wirklichen Kloster zu sein, ein zurück- gezogenes, auferbauliches Leben führten. Am stärksten freilich wirkte seine Rede, wenn er den Sündenpfuhl berührte, darin er den größeren Teil des Klerus versunken sah. Da ist ihm kein Wort stark genug, um ihre Unzucht!), Hab- und Genußsucht?), ihre Völlerei und Trunksucht?) zu schildern. Wie machte er sich über ihre Gewandung lustig, in der sie Harle- kinen glichen. Man begreift, daß dieser Klerus einen Prediger haßte, der sich nicht scheute, wie uns die Gerichtsakten des Konsistoriums in Prag lehren, selbst gegen den Erzbischof aufzutreten, sich freilich zum Schluß, denn der Erzbischof war tadellos, vor ihm in tiefer Demut beugte. Dazu kommt der alte Haß der Bettelmönche, die ihn schon längst verklagt hatten, daß er sie Betrüger gescholten, indes er bloß die gläubige Menge nicht an sie, sondern an ihre Ortspfarrer wies. Endlich noch die Entrüstung der Pfarrer selbst, in deren Seelsorge er durch die Errichtung von Jerusalem eingreift. Dieser Klerus bringt seine Klage 1373 vor die Provinzialsynode. Herrisch werden des Militsch Anhänger zurückgedrängt, aber noch halten Kaiser und Erzbischof die schützende Hand über den Mann, dessen unver- gleichliches Wirken im Interesse der Gesellschaft sie durchaus billigen. Seine Gegner erreichen mit ihren Anklagen in Prag nichts. Da fehlt es nicht an Schelt- und Schimpfworten für Militsch. Er wird Begharde ge- nannt und Heuchler gescholten.

Gefährlicher wird die Anklage, die der Prager Klerus nunmehr in Avignon selbst führt; durch einen Magister Johannes Klenkoth werden bei der Kurie 12 Klagepunkte eingereicht. Sie betreffen seine Lehre vom Antichrist, seine Strenge gegen den Wucher, seine Lehre vom häufigen Genuß des Abendmahls, die Gründung von Jerusalem usw., aber auch seinen angeblichen Haß gegen das Studium der freien Künste, das er für sündhaft gehalten haben soll. Die Kurie verlangte Bericht. Eine Zuschrift an die Erzbischöfe von Prag und Gnesen, die Bischöfe von Olmütz, Leito- mischl, Krakau und Breslau begehrte zu wissen, was an den Artikeln Wahres sei. Am Io. Februar 1374 richtete der Papst ein Schreiben an Karl IV.: Ein gewisser Milicius maße sich unter dem Schein der Heilig- keit das Predigtamt an und streue ketzerische Lehren im Böhmerlande und den Nachbarprovinzen aus; der Kaiser werde den Bischöfen seine Hilfe nicht versagen®). Der Erzbischof hatte Sorge, nicht so sehr um seiner selbst willen, als um des Predigers willen. Militsch selbst mußte ihn trösten.

1) Adulteriis, fornicationibus, incestibus carnalibus, mulierum amoribus et amplexibus, concubinarum cohabitacionibus meretricum commerciis se ingerunt.

2) Non laborant, nisi sunt lucra et pingues prebende. ..

3) Die ac nocte bibunt et devorant sicut porci...

4) Reg. Gregors XI., Cod. 270, fol. XIIIa, et Indice, fol. III, übrigens auch in Raynald (gut) abgedruckt.

RE

Er appellierte und begab sich nach Avignon, wo sich alles zu seinen Gunsten wandte. Auch diesmal war es Grimaud, der die Hand über ihn hielt. Klenkoth selbst erklärte, in den Artikeln nichts Ketzerisches zu finden und sie nur auf Betreiben eines Prager Pfarrers vor den Papst gebracht zu haben. Die Rechtfertigung desMilitsch war sovollständig, daß er vor den Kardinälen predigen durfte und von Grimaud zur Tafel gezogen ward. Bald nachher starb Klenkoth, worüber Militsch Berichte in die Heimat sandte. Er selbst erkrankte nicht lange nachher. Sein Ende erwartend nahm er von seinen Freunden brieflich Abschied. Als Grimaud das Schreiben las, sagte er: So sehr unser Herr der (verstorbene) Papst Urban V., durch Wunder- werke glänzt, ich meine, Militsch wird noch früher heilig gesprochen werden. Militsch starb am 29. Juni 1374. Auf die Kunde hiervon kam es in Prag zu einer gewaltigen Erregung der Gemüter, deren Nachwirkung in dem Bericht des Biographen noch deutlich zutage tritt.

Den Vorläufern der hussitischen Bewegung hat man in unseren Tagen auch Johannes, den Prediger der Deutschen bei St. Gallus, zugesellen wollen; aber der Grund hierzu ist nicht zutreffend. Zwar hat Johannes ein umfangreiches Werk das Communiloquium geschrieben, das von der Verfassung des Staates und seinen Gliedern handelt und eine Fülle schöner und treffender Bemerkungen enthält, sich aber seinem Inhalte nach doch nur an die Gebildeten des Landes wandte, weil er nur diesen verständlich war.!) Das Andenken an ihn ist denn auch schon mit seinem Tode erloschen.

Dagegen beansprucht eine höhere Wertschätzung der Magister Adal- bertus Ranconis de Ericinio, über dessen Lebensverhältnisse und Bestrebungen einige Arbeiten der letzten Jahrzehnte etwas Licht ver- breitet haben.?2) Er war einer der hauptsächlichsten Förderer der litera- rischen und vornehmlich auch der nationalen Bestrebungen in seinem Vaterland und hat als solcher zu seinen Lebzeiten ein unbestrittenes An-

1) Damit steht nicht in Widerspruch, daß der Verf. sein volles Interesse auch den Handwerkern und den Arbeitern zuwendet, ‚‚die durch das Evangelium gewonnen werden müßten, um den drückenden Unterschied nicht bloß des Standes, sondern auch der Besitzlosigkeit den Reichen gegenüber zu ertragen‘. Über das Werk des Johannes s. Höfler, Concilia Pragensia, XXXIV—XXXIX, u. A. Bachmann, Gesch. Böhmens, II, 149. Es ist die Frage, ob Johannes seine Lehren ‚vor der horchenden Menge auseinandersetzte‘‘. Wir dürfen es bezweifeln.

?) S. über ihn meine Studie, Der Magister Adalbertus Ranconis de Ericinio, im 57. Bd. d. Arch. f. österr. Gesch, 2ıoff. Tadra im Casopis mus. leck£ho 1880, und Kulturni styky, 246ff. Zibrt, Bibliogr., 1122 und 13765ff. Eine Einzeichnung von seiner eigenen Hand im Cod., III, G. ı. der Prager Univ.-Bibl.: Iste est liber magistri Adalberti de Ericinio in Boemia (demnach ein Orts- und kein Geschlechtsname, wie man gemeint hat) scolastici ecclesie Pragensis, magistri in theologia et in artibus Pari- siensis. Ein Schreiben des Ranconis auch in den Studien und Mitt. aus dem Bened.- und Zisterzienserorden, XI, 292.

N ER

sehen genossen und auch nach seinem Tode ist noch oft und lange seiner Verdienste gedacht worden. Im Jahre 1349 war er Magister und 1355 Rektor an der hohen Schule in Paris. Daher rühmt Thomas von Stitny von ihm: Er war der erste unter den Tschechen, der die Magisterwürde in der hl. Schrift auf der hohen Schule in Paris erlangt hat. In den 60er Jahren erscheint er als Lehrer an der Hochschule in Prag und Kanonikus am Domkapitel daselbst. Im Jahre 1370 finden wir ihn in einem lebhaften Streit mit Heinrich von Oyta, den er bei dem Auditor der päpstlichen Kanzlei um sechs Artikel willen belangte.!) Von diesen erinnert einer an die gleiche Lehre der Hussiten, wonach der hl. Geist, nicht der Priester, die Sünden vergibt. Sache des Priesters ist es nur, zu verkünden, daß der hl. Geist dem Sünder verziehen habe.

In einen heftigen Konflikt geriet Adalbert um 1385 mit dem Erz- bischof Johann von Jenzenstein, wobei es sich um mehrere Punkte handelte, deren ersten kein Geringerer als der König Wenzel selbst angeregt hatte. Eines Tages stellte dieser, wie er öfter zu tun pflegte, auf seinem Schlosse Pürglitz an den Magister eine Frage, die sich auf das Fegefeuer bezog. Wir kennen sie aus der Aussage des Erzbischofs: Ist es wahr, Meister Adalbert, daß kein Heiliger im Himmel sei, der nicht zuvor zum Fegefeuer hinabgestiegen ist? Als dieser die Frage bejahte, fiel der Erzbischof ein: Mit Ausnahme der treugebliebenen Engel, worauf der Magister unwillig erwiderte: Es ist nicht wahr. Und der Erzbischof: Sieh’ zu, ob du auch recht geredet hast. Darüber kam es zu langen Auseinandersetzungen. Von den übrigen Punkten war der wichtigste jener, der die Frage des Heim- fallsrechtes betraf. Darin trat der Domherr Kunesch von Trebowel für die Anschauungen des Erzbischofs ein, der sich als warmer Freund des Bauernstandes bekannte. Man darf hier daran erinnern, daß wir uns in den Tagen befinden, wo sich in England noch die Nachwehen des großen Aufstandes von 1381 bemerkbar machten und die Beziehungen zwischen Böhmen und England rege waren. Der Erzbischof nahm für die Bauern das freie Verfügungsrecht über ihr bewegliches und‘unbewegliches Gut auch dann in Anspruch, wenn sie keinen direkten Erben hinterließen. Er hat in diesem Sinne selbst nicht nur einen Traktat verfaßt?), sondern auch auf den erzbischöflichen Gütern zu ihren Gunsten die Verfügung getroffen, daß sie über ihren Besitz nach eigenem Ermessen verfügen dürfen. Sollte jemand sterben, ohne ein Testament zu hinterlassen oder

1) S, Aschbach, Gesch. d. Wiener Universität I, 406 und Sedläk, Jan Hus 36.

2) S. meinen Aufsatz im 57. Bd. des Arch. f. österr. Gesch. 232 ff. Dazu ]. Kalausek, Traktat Jana z JenSteina proti Vojt&chovi Rankovu o odümrtich (Traktat Johanns von Jenzenstein über das Heimfallsrecht). Huß behandelt den Gegenstand in einer Predigt. Daß er die Schriften des Adalbert und Jenzensteins gekannt habe, ist wohl möglich. S. Opp. II, 35b.

SS

einen Erben zu bestimmen, so soll sein Eigentum an seine Bluts- oder die nächsten Seitenverwandten fallen. Aus der Polemik erfahren wir die Tat- sache, daß Adalbert auch über das Schisma einen Traktat verfaßt hat, der ihm die Mißbilligung des Erzbischofs eintrug.!) Dieser kann in seiner polemischen Schrift als ein Vorläufer von Hussens Gegnern einem Stanislaus von Znaim und Stephan von Palecz bezeichnet werden, wogegen sich Adalbert im Gedankenkreis Wiclifs bewegt. Man beachte den Satz, der sich fast mit gleichen oder wenig geänderten Worten in verschiedenen Werken Wiclifs findet: Wir sollen in diesen Tagen des Schismas nicht glauben, daß die Kirche kein Oberhaupt habe, denn dieses ist Christus. Es ist bekanntlich der Hauptsatz in Wiclifs berühmtem Buch von der Kirche.?) Daß Adalbert Kenntnis hievon haben konnte, ist aus seinen literarischen Beziehungen zu erweisen, die nicht nur nach Frankreich, sondern auch nach England reichen. Es ist übrigens erwiesen, daß Wiclifs Schriften, auch die theologischen, in Böhmen noch früher bekannt waren?), als man die längste Zeit gemeint hat.

Als Förderer der literarischen Interessen seiner Landsleute ist Adal- bertus Ranconis vielfach tätig gewesen. In diesem Sinne sagt Stitny von ihm: Er war keiner von denen, die mit den Zähnen knirschen, weil ich eine solche Schrift schreibe, oder von denen, die alles anschwärzen, weil ich tschechisch schreibe: es schien ihm nicht schlecht zu sein, für Tschechen tschechische Bücher zu schreiben. Wie Stitny, so haben auch andere Männer seinen gelehrten Beirat erbeten. Zeitgenossen und jüngere, na- mentlich auch Huß, erwähnen seiner mit großer Ehrfurcht. Als warmer Freund der Interessen seines Volkes steht er im Bunde mit gleichgesinnten Männern aus dem Ritter- und Bürgerstande und gerade mit jenen beiden, die die berühmte Bethlehemskapelle, die Stätte, an der Huß seine Wirk- samkeit entfaltete, errichtet und begabt hatten das sind der Kaufmann Kreuz®) und der Ritter und königliche Rat Johann von Mülheim. Dieser stiftete an der genannten Kapelle einen Prediger unter der Bedingung, daß er ein Weltgeistlicher sei und ausschließlich in tschechischer Sprache predige. In diesem Kreise nationalgesinnter Männer vertritt Adalbert den Gelehrten-, Mülheim den Ritter- und Kreuz den Bürgerstand. Wie seine beiden Freunde hat auch Adalbert eine Stiftung hinterlassen, die in mehr als einer Hinsicht Interesse erweckt. Er stiftete nämlich einen jährlichen Zins zugunsten tschechischer, in Paris oder Oxford studierender Jüng-

I) Arch. f. österr. Gesch., 57, 269. S. dazu auch Sedläk, S. goff.

2) Der Kirchenbegriff wird von Adalbert in fünffacher Weise erklärt... quinto pro universali et totali congregacione fidelium, qui sunt in gracia Dei constituti...

®) Sedläk, Jan Hus, S. 74/5.

4) Er gehörte einer angesehenen tschechischen Familie an. S. das Registrum Slavorum, herausg. von L. Helmling und A. Horcicka, Prag 1904. Auch Mülheim war trotz seines deutschen Namens Tscheche.

I UR ER

linge. So erscheint er auch mittelbar als Förderer Wiclifscher Lehren in seinem Heimatlande. Sein Testament ist im Hause des Kreuz verfaßt und dieser zum Testamentsvollstrecker ernannt worden. Über seinen reichen Bücherschatz hatte er schon früher zugunsten des Klosters Brewnow verfügt.!) Der Wortlaut der Stiftung zeugt davon,?) wie hoch die Wogen der nationalen Bewegung in Böhmen bereits im Jahre 1388 gegangen sind. Die Stiftung war nur für solche Studierende, die sich den freien Künsten oder der Gottesgelahrtheit widmeten. Sie mußten jedoch von väterlicher und mütterlicher Seite der tschechischen Nation angehören. Die Verwal- tung des Geldes erhielt der Scholastikus der Prager Domkirche, doch nur unter der Bedingung, daß er ein Tscheche sei. Wäre dies nicht der Fall, dann sollte der jeweilige Dekan des Prager Domkapitels die Verwal- tung übernehmen ; er mußte sich jedoch mit einem Beirat von drei Personen umgeben, die gleichfalls gebürtige Tschechen sein müssen. Die Einkünfte der Stiftung werden bei dem Dekan des Domkapitels hinterlegt. Sie über- senden das Geld an die bestimmten Studenten nach Paris oder Oxford.

Zu den kirchlichen Fragen der Zeit hat Adalbert wiederholt das Wort ergriffen. Bedeutend war er als Kanzelredner. Den klarsten Redner nennt ihn Huß, wie ihn Janow als großen Gelehrten ‚im kanonischen Rechte und in der Gottesgelahrtheit‘ bezeichnet.?) Leider ist von seiner Kanzelbered- samkeit nur wenig auf uns gekommen eine Synodalpredigt von 1375, eine Rede an den Kardinal Pileus de Prata und eine Leichenrede. auf Karl IV.4) Wie Stitny erzählt, hat auch er sich in wichtigen und zweifel- haften Sachen des Rates Adalberts bedient und ihm seine Arbeit von den allgemeinen christlichen Angelegenheiten mit der Bitte überreicht, daran zu bessern, was etwa mit der hl. Schrift nicht in Übereinstimmung stünde.

Wie Adalbert Ranconis war auch Thomas von Stitny, der dem Adel- stande Böhmens angehörte, ein warmer Freund der nationalen Interessen, zugleich aber auch der inneren Reform der Kirche. Wie er daher auf der einen Seite in genauer Verbindung mit Ranconis steht, ist er anderseits auch mit Militsch befreundet, dessen Bestrebungen er wohl mit lebhaftem Anteile verfolgte. Dabei ging er mit dieser niemals über die Grenzen des herrschenden Kirchensystems hinaus. Wie tief er auch daher bekümmert

t) Ein Buch aus seinem Besitz ist der Codex pal. Vindob. 1430. Libri septem de paupertate Salvatoris seu de mendicitate Fratrum, fol. 1a, in marg: Iste est liber magistri Adalberti Ranconis de Ericinio in Boemia. Et fuit reverendi domini Ricardi primatis Ybernie doctoris eximii sacre theologie, quem ipsemet dominus Ricardus composuit contra fratres mendicantes in curia Romana ad instanciam Clementis pape VI.

2) Das Testament wurde von mir 1878 im Wittingauer Archiv gefunden. Gedr. MVGDE. XVII, 210— 213.

3) Limpidissimus orator bei Huß, magnus vir in iure canonico et in theologia.

4) S. FF. rer. Boh., III, 433. Auf Spuren, die auf seine Kanzelberedtsamkeit lenken, habe ich aufmerksam gemacht im Arch. f. österr. Gesch., 57, 226.

ne

ist ob der kirchlichen Streitigkeiten, die in seinen letzten Lebensjahren in Prag auftauchten und wie sehr er von dem Gedanken gequält wird, das Rechte nicht leicht finden zu können, so tröstet er sich doch: Die Kirche werde wohl entscheiden, was Rechtens sei. Er suchte durch seine in der Volkssprache niedergeschriebenen Erbauungsschriften auf seine Lands- leute einzuwirken und man bewundert noch heute die Meisterschaft, mit der er die reichen Formen der böhmischen Sprache handhabte.!) Man hat ihn mit Thomas Kempis verglichen: wie dieser sucht er die Kluft zwischen Schule und Leben durch eine volkstümliche Darstellung des gesamten Schulwissens seiner Zeit, soweit er es in sich aufgenommen, auszufüllen und damit dem Volke zugänglich zu machen, was die Schule bisher nur als ihr Eigentum ansah.?) In diesen seinen auf praktische Ziele gerichteten Be- strebungen liegt seine Bedeutung und damit hängt es auch zusammen, daß er seine tschechische Muttersprache auch für gelehrte Erörterungen in Anwendung brachte. Stitny hat noch die Anfänge der eigentlichen hussi- tischen Bewegung gesehen: er starb um das Jahr 1400.°)

Wie Stitny war auch Matthias von Janow von ritterlicher Herkunft?), besaß jedoch im Gegensatz zu diesem eine gelehrte Bildung, die er sich teils in Prag, teils in Paris, wo er neun Jahre verweilte, erworben hatte. Von diesen Jahren widmete er sechs dem Studium der Theologie. Die päpstliche Bulle, die ihm eine Domherrnstelle verleiht®), rühmt die Ehrbarkeit seines Lebens und sonstige Verdienste. Sind das freilich in der Regel nur formel- hafte Worte, so dürften sie in diesem Falle der Wahrheit entsprechen. Gleichwohl bekennt Janow selbst, in seinen jüngeren Jahren dem Ruhm und den Ehren der Welt nachgegangen und beim Streben nach Reichtum in die Schlingen des Teufels gefallen zu sein.

Dem Magister Adalbert stand er nahe und der Erzbischof Johann von Jenzenstein, der wie der Pariser so pflegte man Janow zu nennen

1) Palacky, Gesch. v. Böhmen, 3, 188.

2) Conc. Prag, 40.

3) Sedläk setzt seinen Tod auf das Jahr 1401 an; s. S. 49. Dort findet sich auch die neuere Literatur zu Stitny vermerkt.

4) Diesem nach jeder Seite hin bedeutenden Schriftsteller hat Vlastimil Kybal eine umfangreiche Darstellung in tschechischer Sprache: M. Mat£&j z Janowa. Jeho Zivot, spisy a uceni (Magister Matthias von Janow, Sein Leben, seine Schriften und Lehre), Prag 1905, gewidmet. Die bedeutendste und hervorragendste Arbeit auf diesem Gebiete in vorhussitischer Zeit sind seine ‚„Regulae Veteris et Novi Testa- menti‘‘, herausg. von V. Kybal, Bd. ı—4., Innsbruck 1908—ı913. S. A. Naegle, der Prag. Kanonikus Matthias von Janow auf Grund seiner Regulae veteris et novi testamenti im 48. Bd. d. MVGDB. Einzelnes bei Tadra, Kulturni styky 252/3, ausführlicher bei Sedläk, Jan Hus, wo S. 72/3 auf die Benutzung d. Regulae durch Huß hingewiesen wird. i

5) Die päpstliche Urkunde, die ihm ein Kanonikat in Prag zuweist, s. im MM. Vaticana res gestas Boh. illustrantia V, 54.

TEN

an der Sorbonne studiert hatte, war ihm gewogen. Janow und Jenzenstein!) zeigen überhaupt in ihrem Entwicklungsgange bedeutsame Analogien und vielleicht ist das Beispiel des Oberhirten nicht ganz ohne Einfluß auf Matthias gewesen. Auch Jenzenstein hatte fremde Länder besucht, um seine Erziehung zu vollenden und war gleich diesem den Freuden der Welt im Anfang nicht abhold. Wie Matthias Klage erhebt, daß sein Geist, einst von einer dichten Wand umgeben, nur an das gedacht, was Auge und Ohr ergötzt, bis es dem Herrn gefiel, ihn wie einen Feuerbrand mitten aus den Flammen zu ziehen?), so klagt auch Jenzenstein, daß er die schönen Jahre seiner Jugend in eitlem Tand, in Saus und Braus verlebt und auf seinen Kreuz- und Querzügen sich wohl die Laster der Welt, nicht aber deren Tugenden angeeignet habe, bis ihn die Hand des Herrn getroffen. Erst ın der Fieberhitze und wenn eisige Kälte sein Gebein durchschauerte, sei ihm die fleischliche Gier ertötet worden, habe er den alten Menschen aus-, den neuen angezogen. Der plötzliche Tod des Erzbischofs von Magde- burg inmitten der lärmenden Freuden der Fastnacht habe auf ihn einen nachhaltigen Eindruck gemacht. Jenzenstein ist freilich schon in der Jugend von aszetischen Anwandlungen nicht freigeblieben, und man darf wohl seine Selbstanklagen nicht allzu wörtlich nehmen. Begründeter sind jeden- falls seine Klagen über die gesunkene kirchliche Disziplin und die Verwelt- lichung in den oberen Reihen des Klerus. Darin stimmt mit ihm Janow überein.

Dieser nimmt heute unter den sog. Vorläufern der hussitischen Be- wegung die höchste Stelle ein; man hat indes seine Bedeutung überschätzt, nicht was den inneren Gehalt seiner Schriften, den man allerdings hoch genug stellen muß, wohl aber was den Einfluß betrifft, den er auf das geistige Leben seiner Zeit genommen hat. Er hatte es allerdings nicht darauf abge- sehen, die Massen anzuregen und zu gewinnen, es auch strenge vermieden, den politischen oder wirtschaftlichen Fragen der Zeit nahezutreten und etwa durch Flugschriften auf die Menge zu wirken. Wie anders Wiclif, der aus jedem seiner dickleibigen Bücher eine wirksame Flugschrift formt und sie ° lateinisch und englisch in die Welt hinausschickt oder ein Huß, der aus Wiclifs schwerfälligem Buch von der Kirche einen schmächtigen Auszug herausschneidet. Schon der ungeheure Umfang der Regulae Janows stand seiner Verbreitung in weitere Kreise im Wege.?) Jene anderen Werke empfahlen sich durch ihre schlagfertige Kürze und den weitaus kräftigeren,

1) Über ihn und das Folgende s. die Einleitung zu meiner Ausgabe des Codex epistolaris Johannes von Jenzenstein im Arch. f. österr. Gesch. 55, 267 ff.

2) Vgl. Regulae IV, 37.

3) An der Universität wurden seine Schriften jedenfalls fleißig gelesen. Die Bibliothek der böhmischen Nation besaß Exemplare seiner Sermones, der Regulae, ein Speculum aureum de frequentacione communionis u. a. S. Loserth, der älteste Katalog der Prager Universitätsbibliothek im ıı. Bd. d. MIÖG S. 310.

EASenT ges

Ton, der in ihnen klingt. Dazu kommt, daß Janow sich ‚willig der Ent- scheidung der Kirche fügt‘‘, während schon Adalbert einen starken Schritt weitergeht, dessen Begriff von der Kirche von dem des englisch-hussitischen nicht weit absteht. Man mag schon daraus entnehmen, was es damit für eine Bewandtnis hat, wenn man mit Neander sagt, daß ein Huß hinter Matthias von Janow eher zurückgeblieben als über ihn hinausgegangen ist. Demgegenüber muß man immer betonen, daß Janow gleich seinen Vor- gängern an den Traditionen der Kirche festhält und die große Besorgnis, etwa aus dem Rahmen der kirchlichen Einheit herauszutreten, wiederholt und mit Schärfe betont. Wo findet sich bei ihm ein Satz wie jener, der Hussens Lehre von der Kirche zum Fundamente dient und geeignet war, nicht bloß die bestehende Ordnung in der Kirche, sondern auch im Staate zu vernichten. In alle dem freilich, was die Disziplin in der Kirche betrifft, spricht der eine wie der andere, es ist verschiedener Wortlaut, aber der gleiche Inhalt. Selbst das, was der englisch-böhmische Wiclifismus die Verkaiserung der Kirche nennt, kommt schon bei Janow, wenngleich in anderen Wendungen, zur Sprache. Das Elend, heißt es hier, ist in die Kirche gekommen, seit der Papst alle Pfründen an sich gezogen hat und die Verteilung der Ämter nach seinem Gutdünken geschieht. Seit dieser Zeit gibt es unter dem Klerus nichts als Streit und Haß und ein Jagen und Haschen nach solchem Besitz. Solche Worte müssen Eindruck machen, weil sie von einem Manne herrühren, der nach eigener Aussage an dem Wett- rennen nach Pfründen lebhaft teilgenommen hat. Auch die Forderung, die Kirche auf den Stand der apostolischen Zeit zurückzuführen, spielt schon hier mit; freilich, meint Janow, werden da noch viele Umwälzungen vor- hergehen, förmliche Regenerationen des Menschentums eintreten müssen. Im Schisma sieht er wie die Späteren ein Zeichen dafür, daß die Erneuerung der Kirche nahe ist. Er denkt in dieser Beziehung nicht anders als die zahllosen Reformfreunde in allen Ländern der abendländischen Christen- heit. Wie er ein Sittenschilderer ersten Ranges ist, kann hier nur ange- deutet werden, aber hervorzuheben ist, daß er mit dem Wiclifismus die Liebe zum biblischen Studium teilt. Von Jugend an, sagt er, habe ich die Bibel geliebt und sie meine Freundin und Braut genannt, die Mutter schöner Liebe und der Erkenntnis, der Furcht und hl. Hoffnung. Gleich- wohl stützt sich Huß da, wo er von der Bibel spricht, nicht auf Janow, sondern auf sein englisches Vorbild. Wo Janow von den Hindernissen spricht, die der Predigt der Wahrheit in den Weg gelegt werden, glaubt man Wiclif zu vernehmen. Man kennt dessen Angriffe auf die Predigt- manier der Zeit, die es nicht duldet, daß man den Gläubigen das Gesetz Gottes verkündigt, sondern ihnen einen Hokuspokus vormacht. Bei Janow liest man ähnliches. So auch, wo von den geschlechtlichen Aus- schreitungen des Welt- und Regularklerus gesprochen, ihr Verhalten mit

dem der Laienwelt verglichen oder wo ihr Drang nach Ehren und Pfründen, ihr Pomp und ihre ganze Haltung gegeißelt wird. Wie Wiclif, hält auch Janow diesem Klerus das Beispiel der ersten Christenheit entgegen, klagt über unnütze Zeremonien, und die sufficientia legis Christi, die bei jenem eine so wesentliche Rolle spielt, ist auch hier nicht ganz unerwähnt geblieben. Aber all das wird nicht in der stürmischen Art des Engländers, sondern in maßvoller Weise vorgetragen, weshalb es dem Sturm und Drang der folgenden Jahrzehnte wenig zugesagt hätte, auch wenn es ihm, was doch nicht ausgemacht ist, bekannt geworden wäre.

Wir erfahren aus Janows großem Werke von Synodalbeschlüssen seiner Zeit und seiner Heimat, über die sonst nichts bekannt ist und die sich gegen die falsche Verehrung der Bilder richten. Gegen diese Mißbräuche hat er auf das schärfste gesprochen: Die Lehrer sagen vieles in den Schulen, was vor dem gemeinen Volke keineswegs so gepredigt werden muß; ob- gleich die hl. Kirche die Bilderverehrung zugelassen hat, hat sie doch nie gelehrt, daß sie angebetet werden müssen, doch jetzt sind viele große Män- ner, die sagen, daß solche Dinge den Einfältigen nützen. Janow meint die übertriebene Bilderverehrung und die Anpreisung der durch sie voll- brachten Wunder. Solche Lehren erregten Anstoß. Die Prager Synode des Jahres 1389 nötigte ihn zum Widerruf, den er am 19. Oktober dieses Jahres auch geleistet hat.

Nicht minder macht er die Lügen verächtlich, die von den verschie- denen Orden über ihre Stifter ausgestreut wurden, als ob es diese Heiligen nötig hätten, ihren Ruhm durch lügenhafte Erdichtungen noch vergrößert zu wissen, und so kämpfen diese Orden um den größeren Ruhm ihrer Stifter gegeneinander, um Leute damit in ihren Orden zu ziehen, daß sie dann einer Fraternität angehören, die Messen für sie in größter Anzahl lesen lasse. Ja Janow stellt diese Leute auf eine Linie mit dem in West- europa fressenden Krebsschaden jener Tage den bösen Gesellschaften, die ganze Länder und Reiche verwüsten. Schärfer hat sich auch die eng- lische Reformpartei über die Mönchsorden nicht ausgesprochen als Janow, der den unglaublichen Hochmut der einzelnen Orden geißelt, die geradezu lehren, daß außerhalb ihrer Gesellschaft niemand zu seinem Heil gelangen könne. Diese Opposition ist gewiß eine kräftige, aber sie hat die Wirkung der Wiclifschen Sendschreiben und Flugschriften nicht gehabt und nicht haben können, denn für eine tiefer eindringende Wirkung war sie eine zu gelehrte. Wie die englische Reformpartei setzt Janow den Unterschied zwischen dem auseinander, was die Hierarchie sein soll und in Wirklichkeit ist; schärfere Urteile sind auch hierüber in den böhmischen Landen vor den Tagen der Reformation nicht mehr gefällt worden. Es gibt das ein Bild grau in grau; indem dies aber der Zustand des böhmischen Klerus vor dem Beginn der hussitischen Bewegung war, wie es durch die amtlichen Visi-

Loserth, Huß und Wiclif. 4

tationsprotokolle festgestellt ist, sieht man, daß auf diesem Boden die Aussaat des Wiclifismus am besten gedeihen mußte. Wenn man diesen protzigen Klerus, der das Wohlleben auf Erden und die Seligkeit im Jen- seits so sicher hat, sagt Janow, auf die Unvereinbarkeit der beiden verweist, bekommt man die hohnvolle Antwort: Das sind abgetane Dinge. Fahr’ ab, predige den Bauern. Willst du uns belehren ?

Schriften, wie diese, fanden gewiß den Beifall Jenzensteins, der mit der ganzen Leidenschaft seines Charakters denselben Zielen zustrebte und gleichfalls eine bedeutende literarische Tätigkeit entfaltete. Davon geben zahlreiche Briefe Zeugnis. Während aber Jenzensteins Werk vorzugsweise für die gebildete Klasse bestimmt war, wendet sich Janow an die ‚ein- fachen Leute in Christo‘, für die ‚sein Buch allein‘‘ bestimmt sei. In der Tat kann man sagen, daß es ohne jeglichen Schwulst ist und sich hütet, im Sinne der noch nicht überwundenen Scholastik Zitat auf Zitat zu häufen. Um so leichter verständlich ist es und um so gefälliger erscheint die Dar- stellung. Und damit hängt es schließlich zusammen, daß sich in dem Werke verhältnismäßig wenige dogmatische Erörterungen finden: auf die Praxis des Christentums wird eben das Hauptgewicht gelegt.

Daß Janow seine Predigten in der Muttersprache gehalten, geht aus seiner Bemerkung hervor, die er gegen den Vorwurf macht, daß man in der Landessprache vor dem Volke die Schlechtigkeit der Geistlichen aufdecke. Man sieht es auch aus den tschechischen Worten, die er mitunter in den lateinischen Text einfügt. Matthias von Janow starb am 30. November 1394 und wurde in der Metropolitankirche bei St. Veit beigesetzt.

Zu den reformfreundlichen Männern darf man die Prediger an der Bethlehemkapelle Johann Protiva und Johann Stekna!) rechnen. Diesen hat man früher oft mit Konrad von Waldhausen verwechselt. Huß nennt ihn in einer seiner Predigten ‚‚den vortrefflichen Prediger mit der Trom- petenstimme‘“.?) Daß beide dem Kreise von Männern wie Kreuz, Mühl- heim und Ranconis nahestanden, ergibt sich schon aus ihrer Tätigkeit an der Bethlehemskapelle. Erscheint Stekna einerseits als Förderer jener Richtung, die auf eine Begünstigung der Landessprache in Wort und Schrift hinarbeitete, so hat er anderseits den streng kirchlichen Standpunkt niemals verlassen. Darüber könnte schon das Zeugnis des Andreas von Brod, eines heftigen Gegners der ganzen Wiclifschen Richtung belehren, der ihn in bezug auf sein Wirken einem Konrad von Waldhausen und Militsch an die Seite stellt?); noch deutlicher ersieht man es aus dem Um- stande, daß Stekna ein gewaltiger Eiferer für den Ablaß war, der für Prag ss Sedlak, S. 73. Tadra, S. 273.

2) Velut tuba resonans predicator eximius. Hus Opp. II. Seine Predigten galten jedenfalls als Muster ihrer Art, da sie in die Bibliothek der böhmischen Nation (neben

denen des Matthäus von Krakau) eingereiht wurden (Signatur E. 37). 3) Doc. mag. Joannis Hus ed. Palacky 520.

RE A

im Jahre 1394 verliehen wurde. ‚Dieses Jubeljahr‘‘, sagt die Chronik der Prager Universität, „hat die Taschen der Armen geleert.‘ Wenzel behielt den größeren Teil des Geldes für seine Kammer zurück, und es gab unter allen Doktoren und Magistern keinen, der sich wie ein Bollwerk gegen die Schlechtigkeit der Simonie gesträubt hätte, sondern alle gaben, als wären sie stumm gewesen, ein schlechtes Beispiel und liefen mit rohen und unge- bildeten Leuten in den genannten Kirchen umher, um die so teuer erkauften Ablässe zu erlangen. Nur Wenzel Rohle, der Pfarrer an der Martinskirche in der Altstadt, sprach nicht von Ablässen, sondern nannte sie Betrügereien, freilich nicht öffentlich, sondern insgeheim aus Furcht vor den Pharisäern. Auch der Magister Stökna, damals autorisierter Prediger in Bethlehem, ermahnte das Volk, eine so vortreffliche Gnade nicht zu vernachlässigen.‘‘t) Und als dann ein Jahrzehnt später der Streit bezüglich der Remanenz des Brotes ausbrach, da stand St&kna in der vordersten Reihe der kirchlich Gesinnten.?) Dieser letzte unter den Vorläufern ist auch der erste, der gegen den Wiclifismus bereits polemisch auftrat. Sein Traktat wahrscheinlich behandelte er die Frage der Remanenz des Brotes bei der Verwandlung ist verloren gegangen.

gakKapitel:

Der erste Abendmahlsstreit.

Der Kampf um den Kelch erhob sich in Prag, als Huß bereits den Stätten seiner bisherigen Tätigkeit entrückt war. Man muß diesen Kampf als die letzte Phase der zahlreichen Streitigkeiten über das Abendmahl ansehen, die durch mehr als ein Menschenalter auf den Kanzeln und in den Hörsälen Böhmens zum Austrag gekommen sind. Die letzte Phase war allerdings bedeutsamer als eine der früheren, die allmählich in Vergessen- heit geraten sind, denn der Kampf um den Kelch hat der hussitischen Be- wegung seit I4I5 eine großenteils veränderte Richtung gegeben: Die Scheidung der Parteien wurde nun eine schroffere und auch nach außen hin sichtbarer.

Mehr als ein Jahrzehnt zuvor hat die Wiclifsche Abendmahlslehre ihren Einzug in Böhmen gehalten und sie war es vornehmlich, gegen die sich die Angriffe aller Widersacher des Huß und der neuen Richtung gewendet haben: Huß und seine Genossen hatten den Haß ihrer Gegner namentlich deshalb auf sich geladen, weil sie von diesen für Anhänger der Wiclifschen Lehre von der Remanenz des Brotes beim Abendmahl gehalten wurden.

1) Chronicon universitatis Pragensis (Geschichtsschr. d. hussitischen Bew. II, 15). 2) S. darüber den Brief des Huß vom Jahre 1413 in den Doc. 56.

4*

IE

Lange zuvor seit den siebziger Jahren des 14. Jahrhunderts wurde eine andere Frage mit großer Lebhaftigkeit erwogen: ob es dem Menschen erlaubt sei, häufig oder gar täglich das Abendmahl zu empfangen. Kaum eine literarische Größe aus jener Zeit gibt es, die zu dieser Frage nicht das Wort ergriffen hätte. Am eingehendsten hat sich Matthias von Janow mit ihr beschäftigt. Gleich der zweite Traktat im ersten Buch seiner Regulae behandelt die Abendmahlslehre und enthält ausführliche Betrachtungen und Erörterungen über den Nutzen der oftmaligen oder täglichen Kom- munion.t)

Matthias spricht sich für den häufigen, unter Umständen selbst täg- lichen Empfang der Kommunion aus, ohne aber eine feste Norm aufstellen zu wollen, man müsse das der größeren oder geringeren Frömmigkeit des einzelnen überlassen; wer das eifrigste Verlangen danach trägt, dem darf das Abendmahl jederzeit gereicht werden, säumige Christen sind durch den Priester zu mahnen und gehörig vorzubereiten, diese selbst aber haben ihre Pflicht getreu zu erfüllen, widrigenfalls sie dem göttlichen Gerichte verfallen. Janow war nicht der erste, der diese Frage literarisch behandelt hat. Er gedenkt in seinem Werke seiner Vorgänger. Man müsse wissen, sagt er, daß in den gegenwärtigen Zeitläuften die Frage wegen des täglichen oder oftmaligen Empfanges des Abendmahles seitens des Volkes von den gewöhnlichen und einfachen Leuten stark in die Erörterung gezogen wird. Einige Prediger sind dafür und muntern das Volk dazu auf, andere stemmen sich dagegen und widerreden es, in der Meinung, daß der oftmalige Gang zur Kommunion ihm nicht zuträglich sei.

Aus dieser Äußerung Janows ersieht man, daß nicht bloß gelehrte Kreise, sondern auch das gewöhnliche Volk durch diese Frage eine Zeit hindurch stark in Aufregung gehalten wurde. Die Ansicht Janows hierüber gewann, wie man dem häufigen Vorkommen seines Gutachtens entnehmen kann, großen Beifall. Aber auch die Gutachten anderer gelehrter Männer finden sich noch in alten Manuskripten, Janow selbst hat sie gesammelt und teilt sie insgesamt im dritten Traktate des dritten Buches der Regulae mit. Man lernt daraus alle die Männer kennen, die im I4. Jahrhundert über den häufigen Empfang der Kommunion geschrieben haben und findet die Belegstellen, die zu ihren Gunsten angeführt werden können. So mancher damals gefeierte Name ist später der Vergessenheit anheim- gefallen, aber einige erregen noch heute unser lebhafteres Interesse. Janow selbst leitet die Sammlung mit einigen knappen Worten über die Methode ein, die er hierbei einzuschlagen gedenkt. Zuerst will er die Äußerungen seiner Zeitgenossen, dann die der vorhergehenden Generation, endlich jene der

1) Das ganze Material liegt jetzt in guter Anordnung in der Ausgabe von Kybal vor: Regulae (wie oben). Tractatus secundus: Decommunione corporis Christi. Vol. I, 51—165.

ee

Heiligen älterer Zeiten und der Apostel vorlegen, um dann die Einsetzungs- worte des Herrn selbst anzufügen. So nennt er denn an erster Stelle den hervorragenden Prediger Johannes Horlean; er nennt ihn einen großen Gelehrten und Doktor der Theologie und des Kirchenrechtes. Heute weiß man mit dem Namen nichts anzufangen.!) Horlean hat die Frage in be- jahendem Sinne beantwortet.?) An nächster Stelle wird der Magister und Domherr Franziskus vom Heiligenkreuz in Breslau und Leiter der Pfarre daselbst genannt. Von seiner sonstigen literarischen Wirksamkeit ist ebensowenig bekannt. In seiner kurzen Abhandlung sagt er: Man muß sich wundern, daß es Leute gibt, die fromm gesinnte Personen vom Genuß des Sakramentes zurückhalten. Man muß es dem Priester überlassen, zu entscheiden, ob sie hierzu genugsam vorbereitet sind oder nicht. Ähnlich lautet das Urteil von Franzens Amtsbruder, dem Magister Nikolaus Wen- delar in Breslau®), der aus dem Heiligenleben mehrere Beispiele zur Be- glaubigung seiner Überzeugung beibringt. Ein großes Ansehen genoß in seiner Zeit Matthäus von Krakau, Doktor der Theologie an der Prager Universität.*) Er wurde im Jahre 1405 Bischof von Worms. König Ruprecht ernannte ihn wegen seiner Verdienste zum Kanzler. Im März des Jahres 14Io ist er gestorben. Welches Ansehen er als Professor der Theologie an der Prager Hochschule genoß, ersieht man daraus, daß ihn die Universität als Gesandten an den Papst Urban VI. schickte. Schon das Thema, das er für seine Rede vor dem Papste gewählt hat, ist sehr bezeichnend?): Nie, sagt er, habe es so viele Antichristen gegeben als jetzt. Unzählbar sind die Gebrechen und Laster im Klerus, schon scheint die

1) De hoc auctore nil omnino nobis constat, sagt der Herausgeber der Regulae Öl, Gi

2) Dimissis argumentis pro et contra, videtur, quod sic. Der kurze Traktat findet sich noch in der Handschrift 672 der Prager Universitätsbibliothek. S. Truhlar, Catalogus I, p. 269.

3) Er wird vir illustris et devotus genannt.

4) S. Ullmann, Die Reformatoren vor der Reformation I, 279. Palacky, Lechler u. a. nennen ihn auch Matthäus von Krokow in Pommern, aber in Andreas von Regens- burg finde ich die Stelle: Secundum quod petivit, quod ea mortua erigeret studium generale in Cracovia, quod eciam fecit, et hoc principaliter per magistrum Matthaeum, qui postea factus est episcopus Wormaciensis, quem ad hoc specialiter vocavit, eo quod de Cracovia esset oriundus. Geschichtschr. d. huss. Beweg. 2, 433. In der Prager Matrikel wird er auch Matthaeus de Cracovia genannt, s. MM. hist. univ. Prag. ı, 135. Wiederholt erhalten Polen unter ihm die Magisterwürde. Ebenda 180, 107. Theo Sommerlad, Matthäus von Krakau, Halle, Diss. 1891, G. Sommerfeld, Zu Matthäus de Cracovias kanzelrednerischen Schriften, Z.f. Kirch.-Gesch. 22, 465 ff.

5) Sermo quem fecit magister Matthaeus scilicet de Cracovia... coram Urbano papa VI., cum esset ambasciator studii Pragensis. Das Thema lautet: Quomodo facta est meretrix civitas fidelis. MS. der Olmützer Studienbibliothek. Er erörtert, wie schwierig es sei, vor dem Papste zu reden, aber noch gefährlicher sei es, dort zu schweigen, wo man den Leiden der Christenheit in wirksamer Weise abhelfen könne.

a a

Krankheit eine unheilbare geworden zu sein. Die Kirche könne nur refor- miert werden, wenn die Reform bei den Leitern begonnen werde. Man braucht Männer, deren Doktrin heilsam, deren Lebensweise unbescholten sei und die in heiligem Eifer erglühen. Auch gegen die Annaten und Pro- visionen spricht er. Ähnlichen Inhalts ist die Schrift De squaloribus curiae Romanae, die ihm zugeschrieben wird und zwischen 1389 und 1403 ab- gefaßt ist.!) Sie berührt sich mit der Schrift Speculum aureum, die um dieselbe Zeit abgefaßt wurde. Sie wird dem Magister Albert Engelschalk zugeschrieben. Größeren Beifall hatte ein Dialog, in welchem Matthäus die Vernunft und das Gewissen ein Zwiegespräch über den Genuß des Abendmahls führen läßt. Von seiner Beliebtheit zeugt seine große Ver- breitung.?) Er wurde auch in die Landessprachen ins Deutsche sowohl als ins Tschechische übertragen und erinnert in vielen Punkten an die Schriften deutscher Mystiker. Der Verstand eifert das Gewissen zu häufigem Genuß des Sakramentes an. Da dieses aus übergroßer Furcht zögert, erörtert er die Natur des Altarssakramentes, darin die Gottheit geheimnis- voller Weise enthalten sei. Es gewähre unendlichen Trost und Nutzen, es zu genießen. Dem Priester wird es zur Pflicht gemacht, es darzubringen. Ja, meint das Gewissen, der Priester, der sich in sündhaftem Zustand be- findet, könne nicht würdig spenden, wenigstens nicht vor Gott, der alles weiß; tut er es dennoch, so gereicht es dem Volke, noch mehr ihm selbst zum Schaden. Der Verstand spricht nun viel über die Süßigkeit des Sakra- mentes, das man genießen solle, wenn es die Gottheit gleichsam gebiete.?) Man sieht, auch dieser gefeierte Mann ist für den oftmaligen Empfang des

1) Walch, Monumenta medii aevi I. Lechler, a.a. ©. 133. Die Autorschaft des Matthäus wird übrigens bestritten, s. Sedläk 31.

2) Tractatus de quodam conflictu racionis et consciencie de communione euca- ristie sacramenti. Er findet sich in fast allen größeren Bibliotheken in Österreich, Böhmen, Mähren, Schlesien usw. In der Prager Universitätsbibliothek allein in ı4 Exemplaren (Kybal). In Wittingau A. 5, Breslau, Un. Bibl. Q. 157. Prag. Dom- kapitel O. 44. Wien, Hofbibl. 1399, 3470, 3598, 3737, 3947, 4031, 4350, 4533, 5099, 5332. Als Kampfkrieg der Vernunft, Prag. Un.-Bibl. u.a. Außer den Werken des Matthäus, die schon bei Balbin, Bohemia docta angeführt werden, erwähne ich noch einen Tractatus de contractibus (Breslau U.B. ı, F. 212), de arte moriendi (I O 37, ebenda), de disposicione communicantis (ebenda 1, F. 114), Exposicio super Cantica canti- corum (ebenda I, F. 83), de corpore Christi (ebenda I, F. 234), Epistole (ebenda I, F. 272), Sacramentale (ebenda I, F. 277), decommercio cum Judaeis epistola (ebenda I, F. 286), Solemnis postilla (ebenda I, F. 497), Confessio bona et utilis lingua teotonica scripta (ebenda I, F. 580). Kleinere Werke in Codd. I Q 372, 383. Breslauer Stadt- bibl. 1606. Groß dürfte die Zahl von seinen Einzelschriften sein, die sich in den ver- schiedenen Klosterbibliotheken finden.

®) Error plurimorum, qui multum affligunt se, ieiunant, orant et vigilant eciam in tantum, quod sensus obruitur et ab omni devocione impeditur pocius quam promovetur et habent aliqua de viciis in se etc. Die weitere Analyse bei Höfler, Con- cilia Pragensia LV.

en

Abendsmahls. In der von Janow mitgeteilten Fassung des Traktes ist die Form des Dialogs zwischen Gewissen und Vernunft beibehalten.t)

Auch Adalbertus Ranconis hat auf Bitten des Pfarrers von St. Martin beim Hospital der Altstadt Prag seine Meinung über die strittige Frage bekannt gegeben. Wenn er diesem schreibt: Dringend und stürmisch hast du mich um meine Meinung gebeten, so wird auch daraus ersichtlich, wie diese Bewegung in die Weite und Tiefe ging. Nicht unbedingt kann Adal- bert das häufige Kommunizieren loben: Er spricht von den Gefahren der unwürdigen Kommunion. Abschrecken wolle er freilich niemanden; denn immerhin sei es lobenswerter, dieses Sakrament zu empfangen, als sich seiner zu enthalten, da es die Liebe entzündet, vermehrt und bestärkt.

Die Reihe älterer Autoren beginnt mit keinem geringeren als David von Augsburg, dessen Werk De Septem Profectibus Religionis zitiert wird, und der die Frage vielleicht unter allen am richtigsten löst.?)

Einer der berühmtesten Mönche des Königsaaler Klosters, der als Autor des Malogranatum häufig genannt wird es ist der Abt Gallus wird in die Reihe dieser Autoren eingeschoben. Rühmend wird seine Frömmigkeit hervorgehoben, die so groß war, daß er wegen seiner Devotion die Abts- würde niederlegte. Er zitiert das Beispiel des Apollonius, eines wahren Vaters seiner Mönche, der diese aufforderte, täglich das Abendmahl zu nehmen.

Der nächste ist Militsch, dessen Gracie Dei zitiert werden und so den Autor kenntlich machen?), den ‚ehrwürdigen Mann und illustren Prediger“. Mit besonderer Innigkeit werden seine Worte angemerkt: Unser tägliches Brot ist der Leib des Herrn und sein Blut. Daher müssen wir es, wenn nicht täglich, so doch oft zu uns nehmen, bis wir in der Ewigkeit davon ersättigt werden.

Es folgen ein ungenannter Verfasser eines Traktates De septem sacra- mentis, dann Simon de Cassia, hierauf die Determinatio der Magister eines gewissen Kollegiums, denen sich Bonaventura und der Magister Amandus es ist kein Geringerer als Heinrich Suso mit seinem Horologium an- schließen.

Weiter finden wir die Glosse zu dem Satze aus I. Corinth. II, Oui enim manducat et bibit indigne, die Aussprüche des Thomas von Aquino, des Bernardus von Clairvaux, des Magisters Alanus de Insulis, des Papstes Innocenz III. in seinem Buch von der Messe gemeint sind De sacro altaris mysterio libri sex, des Johannes Cassianus, Anselmus, des Bischofs

1) Cap. VI, p. 82—86.

2) Vix aliquis ita religiosus esse videtur, ita sanctus, exceptis sacerdotibus, quin semel in ebdomada sufficiat ei ex consuetudine communicare nisi specialis causa plus suadeat, ut in infirmitatibus... aliquos trahit amor dei, aliquos infirmitatis proprie intuitus...

3) Im Texte bei Höfler 2, 61, wird er auch genannt.

ern

Caesarius von Arelat, Chrisostomus, Augustinus, Ambrosius, Hieronymus, des Papstes Anaklet, des Apostels Paulus, die Aussprüche in den Acta Apostolorum und zuletzt des Heilands selbst. Im ganzen werden mit seinem eigenen Zeugnis 30 Zeugen aufgerufen, worauf in Kürze die histo- rische Entwicklung dargelegt wird: In der alten Kirche erhielten alle, die der Messe beiwohnten, Klerus und Laien, das Abendmahl; hierauf wurde festgesetzt, daß die Kommunion bloß an Sonntagen genommen werde; seit dem Papste Fabian wurde es üblich, dreimal im Jahre zum Abendmahl zu schreiten und seit Innocenz III. wurde bei der Lauheit der Menschen die Einrichtung getroffen, daß man wenigstens einmal im Jahre, am Öster- feste, kommuniziere.

Man sieht aus dem Ganzen, wie sich nicht bloß Mönche, sondern auch gelehrte Kreise mit der Abendmahlslehre lebhaft beschäftigten. Mit den genannten Männern ist übrigens die Zahl derer nicht erschöpft, die in dieser Frage zur Feder gegriffen haben. Auch der Olmützer Offizial Sander tritt für den öfteren Empfang des Abendmahles ein, doch hat auch er wie Janow einige Bedenken, und es sind meist ähnliche Gründe, die er gegen den täg- lichen Empfang des Abendmahles anführt.!)

Von dieser lebhaften Bewegung geben auch die Prager Synodalstatuten Kunde. Die Synode vom Jahre 1389, auf welcher Janow einige seiner Lehren zurücknahm, trat auch gegen den immer stürmischer werdenden Drang nach dem täglichen Genuß des Altarssakramentes auf. Ebenso lautet der Widerruf des Matthias sage ich, daß man die Leute weltlichen Standes nicht zum täglichen Genuß des Abendmahles auffordern soll. Ebenso soll nicht ein jeder, der sich in dem ersten Stadium seiner Reue befindet, alsbald veranlaßt werden, das Sakrament zu empfangen. Des- gleichen ist nicht jeder ohne Unterschied zum täglichen Empfang des Leibes des Herrn zuzulassen.?) Das Urteil, das die Synode über Matthias gefällt hat, lautete dahin, daß er auf ein halbes Jahr vom Beichthören und von der Austeilung des Abendmahles außer seiner Pfarrkirche suspendiert wurde.

In dem Widerrufe ist vom Abendmahl unter beiden Gestalten keine Rede; der Mag. Johann von Rokyzan, der vor dem Basler Konzil behauptete, daß Matthias von Janow der erste war, der die Kommunion unter beiden

1) Eine Handschrift der Olmützer Studienbibliothek (II, VI, 25) enthält einen solchen Traktat: Hec sunt extracta per dominum officialem Sanderum pro domino Petro beate memorie contra murmurantes et impedire volentes sacram communionem; Sander war 1399 Domherr in Olmütz. Er steht in Verbindung mit den Karthäusern von Dolein in den Tagen Stephans des bekannten eifrigen Gegners von Huß. Er- läuterungen zu den Texten der Determinationes finden sich in Kybals Buch M. Mate£j z Janova, auf die wir hier der Kürze wegen verweisen dürfen. Die einzelnen Autoren sind dort, soweit es möglich war, verifiziert.

2) Retractacio M. Matthie (ohne de Janov); daß sich die Revokation auf ihn bezieht, ist nicht zu bezweifeln. Höfler, Conc. Prag. 37, und Palacky, Documenta 699— 700.

Te

Gestalten empfahl, hat offenbar das obige Urteil im Auge, das sich ledig- lich wider den täglichen Genuß des Abendmahls ausspricht. Wie wenig aber Matthias selbst mit dem Urteil der Synode einverstanden war, lehrt sein wehmütiger Ausruf: Ach, ich Elender, sie haben mich durch ihr unge- stümes Schreien auf jener Synode gezwungen, darin einzustimmen, daß die Gläubigen im allgemeinen nicht zur täglichen Kommunion eingeladen werden sollen.!) Mit bitteren Worten zahlt er es diesen ‚‚modernen Heuch- lern, Doktoren und Prälaten‘‘ heim.

An diese Bestrebungen knüpfte auch Huß an. Noch in seinem in der Kerkerhaft zu Konstanz abgefaßten Traktate spricht er sich über den öfteren Empfang des Altarssakramentes in ähnlicher, wenn auch nicht gleicher Weise aus, wie dies durch Janow und dessen Vorgänger geschehen war. Er hält es geradezu für eine Schlechtigkeit, daß die Menschen erst in der Todesstunde oder selbst dann nicht kommunizieren wollen. Das ist aber einer der nicht allzu zahlreichen Punkte, wo wir, wie bereits bemerkt, Huß in teilweiser Übereinstimmung mit einem seiner sog. Vorläufer ge- wahren, wobei jedoch nicht notwendig anzunehmen ist, daßer gerade durch Janow auf diese Materien gekommen ist.

4. Kapitel.

Der Wiclifismus in Böhmen.

Die letzten Jahre seines Lebens hat Wiclif in der Stadt Lutterworth zugebracht, wo er das Amt eines Pfarrers bekleidete. Dort ist er am Sil- vestertage 1384 gestorben. Seine Anhänger, für die schon in den ersten Jahren nach seinem Tode der Lollardenname in allgemeineren Gebrauch kam?), bildeten eine starke Partei und faßten bis 1395 immer tiefere Wur- zeln im Volke, so daß sie die Hoffnung hegen durften, eine durchgreifende Reform der kirchenpolitischen Verhältnisse in England durchsetzen zu

1) Heu, me miserum absorbentes (nach Jerem. 2I, 34) clamandum similiter in synodo coegerunt, ut communiter fideles ad cottidianam communionem Christi Jhesu corporis et sanguinis non invitentur nec vocentur. Regulae III, ıro. Über seinen letzten Konflikt mit den Kirchenbehörden s. Kybal, M. Mat&j z Janova 21.

2) Über das Entstehen des Namens (von Lollium, der Lolch, das Unkraut) s. Lechler, Johann von Wiclf II, 4, und Buddensieg 616. Solche aus der Pflanzen- welt stammende Namen (s. Fasciculi zizanniorum, Medulla tritici) sind damals beliebt. Der Erklärung des Wortes durch Buddensieg von löllen, lullen, in den Schlaf singen, vermag ich nicht beizustimmen. Dagegen kommt das Wort Lollium nicht weniger als dreimal in der Bulle Gregors XI. an die Universität Oxford vor. S. Fasc. zizann. ed. Shirley, p. 293.

NN

können. Unter der Führung von Männern, wie Nikolaus von Hereford, John Aston und John Purvey, drang der Wiclifismus in alle Schichten der Gesellschaft und durfte es elf Jahre nach dem Heimgang des Meisters noch wagen, in einer Eingabe an das Parlament dessen Mitwirkung zu den als notwendig erkannten Reformen in Anspruch zu nehmen. Erst als Thomas von Arundel 1396 den erzbischöflichen Stuhl von Canterbury bestieg, namentlich aber seit die neue Dynastie des Hauses Lancaster den Thron Englands bestieg (1399), vereinigten sich Staat und Kirche zu seiner Ausrottung. In rascher Folge wurden die tötlichen Schläge geführt: Nach- dem man die hohe Schule in Oxford einer gründlichen Reinigung unter- zogen, erklärten die angesehensten Lehrer daselbst 267 Sätze aus Wiclifs Schriften für irrig und ketzerisch, und als dann im Jahre 1417 Sir John Oldcastle der gute Lord Cobham auf dem Scheiterhaufen geendet hatte, waren die Lollarden aus ihrer Achtung gebietenden Stellung in eineLage gedrängt, in der sie nur mehr als Sektierer erschienen. Heinrich IV. und noch mehr dessen gleichnamiger Sohn traten mit unnachsichtlicher Strenge wider sie auf: Heinrich V., sagt der Wiclifitenhammer Thomas Netter von Walden, hat die Fahne gegen sie aufgerollt.!) Und schon im ersten Jahre der neuen Dynastie wurde das berüchtigte Gesetz de haeretico comburendo erlassen, das die Auslieferung ketzerischer Schriften zur Pflicht machte und offenkundige Ketzer dem Flammentode preisgab das erste Gesetz in der englischen Gesetzgebung, das wegen Ketzerei die Todesstrafe verfügte. Die Wiclifiten galten nun nicht bloß als Feinde Gottes, sondern auch des Königs; das kirchliche Interesse wurde mit dem weltlichen ver- schmolzen: als Feinde des Königs sollten die Wiclifiten gehenkt, als Ketzer verbrannt werden.

Zu diesem scharfen Vorgehen trugen zweifellos die Dinge bei, die sich seit dem Beginn des neuen Jahrhunderts in Böhmen abspielten. Dort trat seit 1403 vielleicht schon etwas früher ein Apostel der Lehre Wiclifs auf, der anfangs leise und zögernd, später mit immer mehr steigendem Eifer und nachhaltigem Erfolg die Lehren des englischen Meisters verkün- dete Johannes von Hussinetz, wie er in den ersten authentischen Dokumenten heißt, oder kurzweg Huß, wie er sich selbst seit 1396 zu nennen pflegte. Jahr und Tag seiner Geburt hat keine alte Quelle verzeichnet. Nach einer jüngeren, aber unsicheren wird das Jahr 1369 als sein Geburts- jahr angenommen. Wenn man neuestens den 6. Juli als seinen Geburtstag

1) Doctrinale fidei ecclesie, prolog.: Rex Heinricus V. in ipso regni sui primordio primo contra Wiclefistas hereticos erexit vexillum... ÖOmnes Wiclefiste sicut dei proditores essent, sic proditores regni. Für die in diesem Kapitel folgenden Ausfüh- rungen sei gleich hier bemerkt, daß Netter die böhmischen Ereignisse lediglich als fortgesetzte Wiclifie betrachtet, wie er in seiner Polemik sich überhaupt nur gegen Wiclif wendet, nie gegen Huß. Scripturus contra Wiclefistas, qui hodie totam invasere Boemiam. Wiclif ist ihm der dritte Herodes usw.

BO 2

bezeichnet hat!), so ist der Grund wohl darin zu suchen, daß man in Böhmen den 6. Juli als Hussens Gedenktag gefeiert hat aber gewiß nicht, weil dieser Tag sein Geburts-, sondern sein Sterbetag in gewissem Sinne freilich auch ein Geburtstag gewesen ist. Daß man den 6. Juli als den Tag des ‚heiligen Märtyrers“ Huß feierte, wird von den Quellen der hus- sitischen Zeit ausdrücklich vermerkt.?) Sein Vater er hieß Michael scheint nicht bemittelt gewesen zu sein. Wie später Luther hat sich auch Huß in den ersten Jahren seiner Studien kümmerlich durchgebracht: Durch Singen in den Kirchen und Ministrantendienste erwarb er sein Brot.?) Er besaß mehrere Geschwister. Um die Söhne eines Bruders derselbe dürfte damals schon tot gewesen sein bekundete er noch in den letzten Tagen seines Lebens eine rührende Fürsorge. Sie sollten ein Handwerk ergreifen, denn er fürchtete, daß sie, falls sie sich dem geistlichen Stande widmeten, diesen nicht heilig genug halten würden.®)

Er selbst dachte frühzeitig daran, Geistlicher zu werden, und seinen eigenen Worten zufolge hatte er hierbei zunächst das gemächliche Leben im Auge, das die Geistlichkeit führte. Die erste Erziehung hatte er in der Pfarr- schule in Prachatitz erhalten, dann bezog er die Universität in Prag. Seine Erfolge im Studium scheinen die Aufmerksamkeit seiner Lehrer nicht auf ihn gelenkt zu haben: Es wird angemerkt, daß er in der Reihe der zugleich mit ihm Graduierten jedesmal in der Mitte genannt wird. Von seinen Lehrern gedenkt er vor allem des Stanislaus von Znaim, mit dem er später in bitterer Fehde lebte. Auch Stephan von Palecz, sein Hauptgegner auf dem Konzil, hat unstreitig einen großen Einfluß auf ihn genommen. In einer Predigt, dieeram Gedenktage Karls IV. gehalten, läßt er die Männer Re- vuepassieren, die als Lehrer einen großen Eindruck auf ihn gemacht haben?) :

1) Tomek, De&jepis Prahy 3, 433, Lechler 2, 133.

2) Schon in dem Ausschreiben der Prager Universität an ‚verschiedene König- reiche und Länder‘ über die vortreffliche Lebensführung des Huß und Hieronymus de dato Prag 1416 Mai 23 (s. meine Beiträge zur Gesch. d. hussitischen Bewegung V, 352) wird von Huß bemerkt, daß ‚‚eius vita moribus sanctis instituta fuit‘, und die fünf ‚„‚Märtyrer‘‘ nach diesen beiden wurden verurteilt, ‚„‚quod (noluerunt) consentire ad condempnacionem illorum sanctorum virorum‘. (Ebenda Arch. f. österr. Gesch. 82, 352, 362). In einer noch ungedruckten Schrift Johann Hofmanns von Schweidnitz liest man: Quantum ad primum, notandum quod predicti adversarii et presumptores de anno domini 1420 sexto die mensis Julii apud eos multum celebri et festivo in recordacionem dampnate memorie quondam Johannis Hus heresiarche et seductoris ipsorum, quorum memoria in malediccione est... Cod. Vind. 4151. Nikolaus Tempelfeld von Brieg (Arch. f. österr. Gesch. 6I, 99) schreibt: Bohemi Johannem Husz alias de Husznicz appellatum, canonizaverunt eiusque festum die VI. mensis Julii solempniter celebrandum instituerunt et oracionibus in officio misse consuetis...

3) Sedläk 76,

*) Doc. mag. Hus 120.

5) Opera 2, 4off.

Was würden unsere Lehrer, die Professoren der hl. Theologie, sagen, wenn sie noch antworten könnten: Was der Magister Nikolaus mit dem Beinamen Biceps!), der spitzfindige Dialekter, Adalbertus Ranconis, der zierlichste Redner?), Nikolaus von Leitomischl, der treffliche Berater, Stephan von Kolin, der glühende Freund des Vaterlandes?), Johannes Stekna, der Prediger mit der Trompetenstimme. Petrus Stupna, der treff- liche Musiker auch als Prediger bekannt.*) Auch des Mathematikers Janko und des ausgezeichneten Dichters Nikolaus Rachorowitz gedenkt er mit Liebe. Von besonderen Neigungen erfahren wir wenig. Er selbst hat sich in seinem Testamente, das er in Form eines an seinen Schüler Martin ge- richteten Briefes niedergeschrieben hat, angeklagt, daß er einstens an ge- wissen Äußerlichkeiten: am Tragen schöner Kleidung u a. Wohlgefallen gefunden verführt, wie er entschuldigend hinzusetzt, durch des Menschen schlechte Angewöhnung. Auch am Schachspiel gewann er Freude. Von seiner Leidenschaftlichkeit und Anmaßung, namentlich aber von seiner Spitzfindigkeit werden verschiedene Beispiele erzählt. Vieles mag da stärker aufgetragen worden sein, als es den Tatsachen entsprach. In über- triebener Weise wußte aber sein Anhang an der Universität seit seinem Tode nur von seiner vortrefflichen Lebensführung zu berichten, die von seiner zartesten Jugend an eine so reine und vortreffliche gewesen sei, daß niemand von so vielen Leuten, unter denen er alltäglich gewandelt, ihn auch nur einer einzigen Sünde beschuldigen konnte.) Daß seine Studien über den Kreis der Schultheologie nicht hinausreichten, darauf ist in den letzten Jahren aufmerksam gemacht worden.®)

Im September 1393 wurde er Baccalaureus und I396 Magister der freien Künste. Die Doktorswürde hat er niemals erlangt. Seit 1398 hielt er als öffentlicher Lehrer Vorlesungen an der Universität. An dieser muß er sich rasch Geltung verschafft haben, denn schon nach kurzer Zeit wurden ihm Ämter und Würden zuteil: 1401 wurde er Dekan der philosophischen

wu.

I) Der älteste Katalog der Prager Universitätsbibliothek (a. a. ©., p. 310) nennt die Dicta magistri Vicipitis. S. über ihn Sedläk 25/6. In einer guten Quelle wird er genannt, Magister Nicolaus cognomine Biceps, vir utique devocionis magne, acer ingenio, gnarus in sciencia et multiplici redimitus virtute...

2) Adalbert starb 1388. In diesem Jahre wird er wegen seiner Krankheit (sein Testament ist vom 3. März bzw. 2. April datiert) nicht mehr als Lehrer aufgetreten sein. Daß er längere Zeit litt, geht aus einem Briefe Jenzensteins hervor (Arch. ö. G. 55, 132). Huß wird sonach vor 1387 sein Schüler gewesen sein.

3) Vom ihm besaß die Bibl. einen Sermo synodalis, Loserth, d.ält. Kat., a. a. O. 316. S. auch Sedläk 9I—93.

#) Ebenda.

5) Documenta 74, Beitr. z. G. d. huss. Bew. V. Arch. f. österr. Gesch. 2258331

6) Die Belege zusammengestellt v. Berger, Huß 38, 39.

ER IT

Fakultät und im folgenden Jahre Rektor. Die Rektorswürde bekleidete er durch ein halbes Jahr bis Ende April 1403.

Mit Männern wie Andreas von Brod, Stephan von Palecz u. a. verband ihn die warme Liebe für die nationalen Interessen. Seine tiefe Frömmigkeit und sein Predigertalent fanden ihre Anerkennung darin, daß er, wiewohl er erst im Jahre 1400 die Priesterweihe erlangt hatte, sofort entsprechende Dienste als Prediger fand: Zuerst bei St. Michael in der Altstadt. Seine Predigten waren sorgsam ausgearbeitet und fanden schon damals Ver- breitung.!) 1402 erhielt er das Amt eines Predigers an der Bethlehems- Kapelle, als deren Rektor er laut dem Stiftsbriefe an allen Sonn- und Feiertagen das Wort Gottes in tschechischer Sprache vortragen sollte.?) Dieses Bethlehem, die Stätte seiner Triumphe, ist ihm in Wirklichkeit ein Heim geworden, an dem er immer mit Inbrunst gehangen.

Wohl schon als Student war Huß mit den philosophischen Schriften Wiclifs bekannt geworden. Im Jahre 1398 schrieb er die vier Traktate Wiclifs: De individuatione temporis, de ideis, de materia et forma und de universalibus ab. Huß selbst hat (fol. 1344) davon Kunde gegeben: Explicit tractatus de veris universalibus magistri venerabilis Johannis Wycleph, sacre theologie veri et magni professoris. Anno domini 1398 in die sancti Jeronimi Slawy. per manus Hus de Hussynez. Amen. Tak boh day (Sic deus det).?)

Man entnimmt den Worten über Wiclif die hohe Verehrung, die er ihm entgegenbringt. Er tritt denn auch seit seiner Bekanntschaft mit den Schriften des Engländers in jene Richtung ein, in der er seine eigentliche Bedeutung erlangt hat. Bisher in tiefster Seele erfüllt von der Verehrung für die Gebräuche und Gnadenmittel der Kirche, begann er nun seine lebhafte Opposition dagegen.

Zwischen den Universitäten in Prag und Oxford gab es alte Verbin- dungen. Ein Gesetz der philosophischen Fakultät vom 20. April 1367 bestimmte, daß die Baccalare bei ihren Vorlesungen sich der Hefte bekann-

1) Documenta 175. In seiner Verteidigung gegen die Aussage des Protiva sagt er: Et istud mendacium Protivae possunt comperire illi, qui habent sermones meos de primo anno predicacionis mee. Diese Predigten liegen in der Handschrift 4310 der Wiener Hofbibl. vor: Themata sermonum tam pro dominicis quam pro festis. S. Sedläk 83/4,

2) Bei vielen älteren und neueren Historikern findet sich die irrige Behauptung, daß es bis dahin in Prag keine Kirche gegeben, wo das Volk die Predigt in der tschech. Muttersprache hören konnte. Zu dem, was Berger, Johannes Hus und König Sigis- mund anführt, hat man die Stelle Ludolfs von Sagan, eines Zeitgenossen, der um 1370 in Prag studiert hat, anzufügen (cap. 30): Et quidem ibi fuit ab olim permixtus populus de utroque ydiomate et ideo rectores ecclesiarum prius predicabant libere et quocumque istorum ydiomatum (wie Militsch) prout sue plebi viderunt expedire.

3) Nach einem in meinem Besitz befindlichen Facsimile Dudiks.

RE

ter Magister der Prager, Pariser oder Oxforder Hochschule bedienen mußten: nur Doktoren und Magister durften nach eigenen Heften vortragen.!) So rühmte sich Ranconis, in seinen Lehren stets den heiligen und ausge- zeichneten Doktoren der berühmtesten Universitäten derer von Paris und Oxford gefolgt zu sein. An beiden Hochschulen hat er, wie es wahr- scheinlich ist, studiert; in Paris und, wie man nach einer Bemerkung, die er gegen den Erzbischof Johann von Jenzenstein gemacht hat, annehmen darf, auch in Oxford ist er Lehrer gewesen, bevor er seine Wirksamkeit in Prag aufgenommen hat. Du rühmst dich, ruft Jenzenstein ihm zu, daß man dir weder an der Universität in Oxford noch an der in Paris einen Irrtum vorgehalten hat, den du hättest widerrufen müssen.?2) Daß der Besuch der englischen Hochschule von Seiten böhmischer Studenten eben nichts Seltenes war, lehrt das Testament des Ranconis. Beliebter wurde er aber erst, seitdem Wenzels Schwester, Anna von Luxemburg, an König Richard vermählt wurde (1382). In ihrem Dienste befanden sich viele ihrer Landsleute und selbst im Dienste vornehmer Engländer verweilten Leute aus Böhmen.?) Seit jener Zeit datiert die Verbreitung Wiclifscher Schriften in Prag. Daß man sie mindestens in die zweite Hälfte der acht- ziger Jahre des 14. Jahrhunderts zu setzen hat, davon zeugt die Äußerung, die Huß dem Engländer Stockes gegenüber im Jahre ı4II getan hat: Ich, sagt er, und die Mitglieder unserer Universität besitzen und lesen jene Bücher schon seit zwanzig und mehr Jahren.?) Kein Wunder, daß hervorragende Lehrer und Freunde des Huß dem Wiclifschen Realismus huldigten: ein Stephan von Kolin, Peter und Stanislaus von Znaim und Stephan von Palecz. Die Führung der ganzen Schar dürfte Stanislaus besessen haben, der selbst eine umfangreiche Schrift Universalia realia geschrieben hat, die mit Wiclifschen Gedanken angefüllt ist.?)

Bis zum Tode der Königin Anna wird dieser lebhafte Verkehr ange- dauert haben, ganz unterbrochen ist er aber auch später nicht gewesen.

Über die Frage, wer die theologischen Schriften Wiclifs nach Böhmen ge- bracht hat, denn nur um diese handelt es sich, da die philosophischen diesen großen Umschwung der kirchlichen und staatlichen Verhältnisse niemals er- zielthätten, gab es schon in der Mitte des 15. Jahrhunderts verschiedenartige Anschauungen. Bezeichnend ist, daß ein Mann, der inmitten der Zeit ge- standen und die Bewegung der Geister in Böhmen von ihren ersten An- fängen mit prüfendem Blicke betrachtet hat, der Schlesier Ludolf von

I) MM. univ. Prag I, 41, 50.

) 2) Arch. f. öst. Gesch, 57, IT, 71.

3) Höfler, Anna v. Luxemburg 83, 93. Lindner, Gesch. d. deutsch. Reiches unter Wenzel ı, 118 ff.

4) Opera I, 108.

5) Sedläk 80.

N

Sagan, erklärt, er wisse nicht, wer die ketzerischen Schriften des Engländers nach Prag gebracht habe.!) Ein Mitglied seines Klosters wußte dann ein halbes Jahrhundert später schon zu erzählen, daß die Tschechen, um es in der Gelehrsamkeit mit den T’eutschen aufnehmen zu können, zwei ihrer Landsleute, die sich durch besondere Talente vor den anderen hervortaten, nach Oxford gesandt hätten den Magister Johannes Huß und Hierony- mus von Prag. Dort seien sie mit Wiclifs Schriften bekannt geworden.?) Daß in dieser Notiz nicht ein Funke Wahrheit vorhanden ist, liegt auf der Hand: Huß ist niemals in Oxford gewesen und Hieronymus wurde nicht von den Pragern und am wenigsten zu dem angegebenen Zwecke dahin gesandt.

Aber ebenso unrichtig ist die Behauptung des Enea Silvio, daß ein Mann aus vornehmem Hause, Namens Faulfisch, die ersten Exemplare Wiclifscher Schriften nach Prag überbracht habe.?) Es ist das eine Ver- wechslung mit jenem Nikolaus Faulfisch, der in Gesellschaft mit einem anderen Studierenden, Georg von Knienchnitz, eine Urkunde nach Prag brachte, in welcher die Universität Oxford am 5. Oktober 1406 die Recht- gläubigkeit Wiclifs behauptete.

Der Domherr Nikolaus Tempelfeld von Brieg, einer der leidenschaft- lichsten Gegner des Königs Georg von Podiebrad, läßt Wiclifs Lehren durch gewisse Engländer, deren Namen er nicht nennt, nach Böhmen gelangen.?) Er hat hierbei offenbar den Magister Peter Payne im Auge, der von I4IO bis 1415 die Würde eines Vizeprinzipals der Edmundshall in Oxford beklei- dete, später nach Böhmen ging und sich dort in lebhaftester Weise an den kirchlichen Fragen der Zeit und des Landes beteiligte. Er war Zeit seines Lebens eifriger Wiclifit und ist erst 1455, drei Jahre bevor Tempelfeld seinen Traktat abgefaßt hat, gestorben.

Ebensowenig glaubwürdig ist die Erzählung des Stanislaus von Welwar, der im Jahre 1455 als Dekan an der Artistenfakultät in Prag er- scheint und Kanonikus wurde. Von ihm ist eine Rede erhalten?), in der er erzählt, daß ein Baccalaureus der Prager Universität nach Oxford ent- sendet wurde, um zu erforschen, ob die Tatsache richtig sei, daß Wiclif vom Erzbischof von Canterbury und vielen Bischöfen verurteilt worden sei. Der Baccalaureus wußte sich ein Beglaubigungsschreiben der Universität Oxford zu verschaffen, schabte die Schrift bis auf das Siegel ab und schrieb auf das Pergament eine Empfehlung der Schriften Wiclifs. Erst auf dem

I) Tractatus de longevo schismate, cap. 27. In meiner Ausgabe S. 425.

2) Catalogus abbatum Saganensium SS. rerum Sil. 2, 283.

8) Hist. Boh. 35.

4) S. meinen Aufsatz über Tempelfeld im Arch. f. österr. Gesch. 61, 135.

5) Oracio reverendi magistri Stanislai de Welwar canonici Pragensis ecclesie- im Cod. bibl. un. Prag XI, C 8, 280— 281, gedr. in der Geschichtsschr. d. huss. Beweg 3, 17; vgl. Palacky, Die Gesch. d. Hussitentums 116.

An

Totenbette bereute er in Gegenwart Sigismunds von Gistebnitz seine Tat: Kein ärgeres Verbrechen als dieses habe er in seinem Leben begangen. Es ist ersichtlich, daß man es hier nur mit einer anderen Redaktion der Erzählung von Nikolaus Faulfisch zu tun hat, die zu bestimmtem Zweck erdichtet wurde.

Der Bericht des Stanislaus von Welwar findet sich in der Chronik des Notars Prokop wieder allerdings mit bedeutenden Abänderungen.!) Auch hier sind Huß und Jakobell getäuscht worden. Einige, sagt Prokop, trugen die Bücher des von der Kirche verdammten Johannes Wiclif nach Böhmen und fälschten eine Schrift, indem sie an die Stelle des Namens eines als katholisch erklärten Magisters den des Johannes Wiclif setzten. Auch hier empfindet der Betrüger am Totenbette Reue und erklärt seine Fälschung als das ärgste Verbrechen seines Lebens.

Cochlaeus hat die Angaben Enea Silvios mit denen Tempelfelds ver- bunden und nennt auch den Peter Payne als Verpflanzer Wiclifscher Bücher nach Böhmen.?) Bei späteren Historikern, namentlich von Hajek ab, finden sich neue Einzelheiten, und so hat man noch in unseren Tagen von einem Hieronymus Faulfisch erzählt, auf den die Propaganda für Wichf in Böhmen zurückgehe eine Verknüpfung des echten Faulfisch mit Hiero- nymus von Prag. Von diesem weiß man, daß er theologische Schriften aus England in seine Heimat gebracht habe. Er ist kaum vor dem Jahre 1399 ins Ausland gegangen®), da er erst im Jahre 1398 Licentiat wurde und im folgenden Jahre die dispensatio biennii erhielt, die ihn von der Verpflichtung, Schullehrerdienste zu leisten, befreite. Auf dem Kon- stanzer Konzil erklärte er, daß er in seinen Jugendjahren aus Lernbegierde nach England ging und weil er hörte, daß Wiclif ein Mann von gründlicher Bildung und ausgezeichnetem Geiste gewesen, habe er dessen Dialog und Trialog, von denen er Handschriften erlangen konnte, abgeschrieben und nach Prag gebracht. Das dürfte im Jahre I40I oder 1402 geschehen sein, denn im folgenden Jahre erfolgte bereits die Verurteilung der sog. 45 Artikel Wiclifs.

Stitnys Werk über den christlichen Unterricht, das in seiner letzten Redaktion erst nach I400 abgefaßt wurde, zeigt schon die Kenntnis der Wiclifschen Abendmahlslehre: Siehe da, sagt Stitny, ich stehe schon im siebenzigsten Lebensjahre, und doch haben mich einige Magister wankend gemacht, so daß ich nicht mehr mit einiger Sicherheit zu sagen weiß, ob in dem Sakrament noch das Brot sei, unter welchem auch der Leib des Herrn wäre oder ob da das Brot bereits aufhöre zu sein. Ich war der zweiten

1) Der Text der Ausgabe in den Geschichtsschreibern der hussitischen Bewegung I, 68, ist verderbt.

2) Historia Hussitarum 8.

3) Darüber s. Palacky, Geschichte des Hussitentums 113,

Zee

Ansicht in der Meinung, die Kirche habe so entschieden, und diese Ansicht legte ich in einigen meiner Bücher nieder. Jene Meister taten mir aber einleuchtend dar, das Brot sei in dem Sakrament vorhanden und der Leib des Herrn auch. Indessen sage ich doch lieber: Ich weiß nicht, was wahr ist, als daß ich sagte, das oder das ist wahr, wenn die Kirche darüber selbst noch nicht entschieden hat.!) Man entnimmt diesen Worten, daß über die Abendmahlslehre schon früh in lebhafter Weise gesprochen und geschrieben wurde und daß sie auch außerhalb der engeren Kreise von Prag frühzeitig Eingang fand. Das ist begreiflich genug. Es waren sicherlich schon längst auch einzelne theologische Werke Wiclifs in Böhmen bekannt, ehe man sie in methodischer Weise aufzusuchen und abzuschreiben begann. Das führt auf die Namen der beiden böhmischen Studenten Nikolaus Faulfisch und Georg von Kniechnitz, die zu dem bestimmten Zweck, nach den Werken Wiclifs zu forschen und sie zu kopieren, I406 nach England gingen. Sie waren aber weder die ersten noch die einzigen, die Schriften des englischen Reformators auf den Kontinent brachten; nur daß man seit dieser Zeit erst von einer Überflutung ihrer Heimat mit diesen Werken sprechen darf.?)

Wie sehr aber auch die Nachrichten darüber auseinandergehen mögen, wer zuerst die theologischen Bücher Wiclifs nach Böhmen gebracht hat: Darüber hat es schon bei Hussens Zeitgenossen keinen Zweifel gegeben, daß es die Bücher des englischen Doktors gewesen sind, an denen sich die tief ins Volk gehende Bewegung entzündet hat, die von vornherein, wie man aus Stitnys Worten entnimmt, in eine neue Richtung eingelenkt hat.

Noch im Jahre 1392 opfert auch Huß seine letzten vier Groschen, um des Ablasses teilhaftig zu werden: ‚Und damals, sagt die Universitäts- chronik, wurde der Magister Huß er war zu der Zeit noch nicht Priester in frivoler Weise durch solche Predigten getäuscht und beichtete auf dem Wischehrad, dem Beichtvater die letzten vier Groschen darreichend, so daß ihm nichts als trockenes Brot zur Nahrung blieb. Gewiß sind es im Anfange seiner seelsorgerischen Tätigkeit nur die mit der Bethlehems- kirche in Verbindung stehenden Kreise gewesen, die seine Richtung be- stimmt haben ein Johannes Stekna und Stephan von Kolin, daß er da- mals noch von einer tiefen Verehrung der bestehenden Kirche und ihrer Gnadenmittel erfüllt war, kann als erwiesen gelten.

Erst Wiclifs Werke haben jene tiefe religiöse Bewegung in Böhmen hervorgerufen. Daß aber diese nichts anderes war, als

1) Wenzig, Studien über den Ritter Thomas von Stitny 20. Von Tomek, Dejepis mösta Prahy 444, wird die Bekanntschaft Stitnys mit den Schriften Wiclifs schon in das Jahr 1395 gesetzt, was nach dem obigen nicht bloß möglich, sondern auch sehr wahrscheinlich ist.

2) S. darüber den Exkurs Nr. 1.

Losertk, Huß und Wiclif. 5

N ray, ua

die reine Wiclifsche, erfährt man aus urkundlichen Dokumenten und historischen Berichten dieser und der unmittelbar darauf folgenden Zeiten. Schon die ersten nachweisbaren Predigten des Huß weisen dies aus.!) Von den Zeitgenossen des Huß sagt Ludolf von Sagan, daß die schreck- lichen, dem Glauben, der Wahrheit und Billigkeit, Gerechtigkeit, Religion und Kirche widerstrebenden Taten aus den Büchern Wiclifs ihren Aus- gangspunkt genommen haben.

Ähnlich sagt Andreas von Brod, lange Zeit der Mitarbeiter des Huß, freilich auf einem Gebiete, das dem religiösen fernliegt: Ihr möget immerhin von den argen Verirrungen der Geistlichkeit sprechen: nur über die Irr- tümer und Bücher Wiclifs, dessen Schützer ihr seid, schweiget. Ich arm- seliges Menschenkind sage euch: Wenn nicht um anderer Dinge willen bloß deswegen, daß ihr gegen den Klerus predigt, würde niemand euch in den Kirchenbann legen, denn schon vor alten Zeiten haben Milicius, Konrad, Stekna und noch sehr viele andere gegen den Klerus gepredigt, ohne daß einer von ihnen in den Bann getan worden wäre.?)

Wegen der Bücher Wiclifs, heißt es in der Universitätschronik?), fing der erhebliche Zwiespalt im Klerus an.

Den wahren Charakter der hussitischen Bewegung in den beiden ersten Jahrzehnten ihres Bestehens kann man aus den Schriften ihres kräftigsten Gegners Stephans, des Priors der Karthause Dolein bei Olmütz, noch ziemlich deutlich erkennen. Er macht hierfür den Magister Wiclif verant- wortlich, den er in einem im Jahre 1408 abgefaßten Traktate mit großer Lebhaftigkeit apostrophiert. Der Traktat führt denn auch den schon von vornherein bezeichnenden Titel Antiwiclif. Hussens Name wird darin noch nicht genannt. Dagegen wendet sich Stephan in den folgenden Trak- taten: Antihussus, der I4I2, dem Dialogus volatilis, der im September I4I4 und in der Epistola an die Hussiten, die 1417 geschrieben ist, mit allem Nach- druck gegen Huß, aber doch noch eifriger gegen Wiclif als dessen Lehrer; dieser sei es, der Huß und Hieronymus und die anderen alle angesteckt habe.*) Er nennt nach dem bekannten Muster Huß den eingeborenen Sohn Wiclifs, an dem dieser sein Wohlgefallen habe (carissimus), sich selbst bezeichnet er als den Wachhund, der fleißig gebellt habe, aber nicht zu dem Zwecke, daß aus Wiclif die Hussiten hervorgehen. Huß ist ihm der vorzüglichste Lobredner und Jünger Wiclifs oder dessen Advokat, Wiclif selbst der Arius seiner Zeit. Er schilt die Hussiten, die sich in ihrem Über- mut spreizen diese Schüler Wiclifs. Die Bethlehemskapelle ist ihm die

1) S. darüber unten 2. Buch, ı. Kapitel: Zur pastoralen Tätigkeit des Huß.

?2) Documenta 518.

?) Item anno domini 1403 incepit notabilis dissensio in clero propter quosdam articulos ex Johannis Wiclef doctoris Anglici libris non bene extractos...

4) Pez, Thesaurus anecdotorum 4, 596, 573, 526/7, 458, 437, 374.

ER

Spelunke, die ihren Hinterhalt bildet, wo Konventikel gehalten werden und wo sich die satanische Schule Wiclifs befindet. In diesem Tone geht es noch in zahlreichen Redewendungen fort. Stephan hat gegen die Lesung der Bücher Wiclifs einzuwenden, daß sie minder gebildete Leute verdirbt: Würde man sie doch nur gelesen haben, um das Gute aus ihnen zu finden und das Schlechte in ihnen zu verabscheuen.!) Sein letzter Traktat kämpft im übrigen bereits gegen die Kommunion sub utraque. Aber noch in den letzten Werken spottet er seiner Gegner, die sich der Bezeichnung Wicli- fiten und Hussiten schämen, während sie doch den Lehren Wiclifs und Hussens im höchsten Grade gehorchen.

Eine alte annalistische Aufzeichnung sagt zum Jahre 1409, daß damals die Wiclifie stark zu werden begann?) und Kunz von Zwola klagt: Die Böhmen sind Ketzer geworden, weil sie dem Erzketzer Wiclif an- hängen.

Wer dem Magister Huß ‚‚die Augen geöffnet hat‘, das wußte man übrigens Jahrzehnte nach seinem Tode im Kreise der Taboriten noch ganz gut. Es war I430, als die taboritische Priesterschaft mit ihrem ganzen Ansehen zum Schutz Wiclifs eintreten mußte. Der Magister Johannes Pribram hatte nämlich von dessen Büchern behauptet, daß sie irrige und ketzerische Sätze enthalten?) und doch seien das, erwiderte man ihm darauf, jene Bücher, die der Magister Johannes Huß im Verein mit anderen Magistern an der Prager Universität siegreich verteidigt und vielfach empfohlen hat. «

Die taboritische Priesterschaft gab, um solchem Vorgehen zu begegnen, eigene Satzungen, nach denen sich die Geistlichkeit in den taboritischen Städten verhalten sollte. Und unter den vier Punkten, die in dieser Be- ziehung am 13. Jänner I430 festgesetzt wurden, spielt wie im Jahre 1403 der Streit wegen des Altarssakramentes immer noch eine bedeutende Rolle. Wie die Taboriten sich nicht scheuten, auf dem Basler Konzil in öffentlicher Sitzung Wiclif als den evangelischen Doktor zu bezeichnen, was ihnen der Kardinal Julian übel vermerkte, so machten sie auch daraus, daß ihre Abendmahlslehre®) eigentlich die Wiclifs sei, kein Hehl. Von den 34 Artikeln,

1) Ebenda 572 und so wiederholt: In partem Wiclef dilapsi... vester magister Wiclef et filii tui sequaces ... quare Wicleph adheretis... Wiclef vester deus. vestrum caput etc.

2) Geschichtsschr. d. huss. Beweg. 2, 73.

®) Quia nuper in hoc regno Bohemie insurrexit quidam veritatis aemulus, di- visionis et dissensionis seminator nomine magister Johannes Pribram, hereticans et erroneans libros doctoris evangelici magistri Johannis sc. Wicleph, quos magister Johannes Hus sancte memorie cum aliis magistris in universitate studii Pragensis contra doctores, magistros et prelatos invincibiliter defendens multipliciter commen- davit. Palacky, Urk. Beiträge 2, 88.

4) S, meinen Aufsatz über die Wiclifsche Abendmahlslehre und ihre Aufnahme in Böhmen im 30. Jahrg. der MVGDB.

5=

die der Kardinallegat den Böhmen vorlegte, ‚stammen die meisten“, sagt Cochlaeus, ‚aus den verdammten Dogmen Wiclifs“ und die ersten be- ziehen sich auf dessen die Abendmahlslehre betreffenden Sätze.

Noch deutlichere Auskunft erhalten wir an einer anderen Stelle: „Diese Bücher des evangelischen Doktors und Meisters Johannes Wichf sind es gewesen, die, wie man von glaubwürdigen Zeugen weiß, dem Mägister Johannes Huß seligen Angedenkens die Augen geöffnet haben, während er sie las und wieder las im Verein mit seinen Anhängern‘.t) Nur irrt die sog. Taboritenchronik darin, daß sie meint, die Augen seien dem Huß erst im Jahre 14Io geöffnet worden, wir finden in seinen lange vor dieser Zeit abgefaßten Schriften Wiclifsche Lehrsätze und Beweis- führungen aus Werken Wiclifs.

In jener akademischen Rede, die man mit Recht dem Huß zuge- schrieben und die er im Jahre I409 gehalten hat?), bricht er in lebhafte Klagen aus, daß man ungerechterweise das böhmische Volk als ketzerisch in Verruf bringe, jene geheiligte böhmische Nation, von der doch das Sprichwort von altersher sage: Kein wirklicher Böhme könne ein Ketzer sein. „Glaubet denen nicht‘, ruft er aus, ‚‚die lügnerischerweise dem Rufe des Reiches und der geheiligten Stadt Prag nahetreten.‘“ Er klagt, daß so viele Ignoranten geistlichen Standes in ihren Reden vor allem Volke schwätzen: Hier in der Stadt seien zahllose Ketzer, man nenne sie Wiclefisten. Was mich betrifft, bekenne ich, daß ich die Bücher des Magisters Johannes Wiclif gelesen und studiert habe und gestehe gern, daß ich daraus viel Gutes gelernt habe. Ein solcher Tor freilich bin ich nicht, daß ich alles, was ich in seinen oder den Büchern eines anderen Doktors gefunden habe, dem Evangelium gleich halte. Der hl. Schrift allein will ich diese ehrfurchts- volle Folge bewahren. Warum sollten wir auch Wiclifs Bücher nicht lesen, in denen unzählige hl. Wahrheiten niedergelegt sind? Er fordert die an- wesenden Studierenden schließlich auf, Wiclifs Bücher fleißig zu stu- dieren. Sollte in ihnen etwas enthalten sein, was sie vielleicht ihres jugend- lichen Alters wegen noch nicht verstehen möchten, so mögen sie für spätere Zeiten zurückgestellt werden. Er macht sich über einen Prediger lustig, der zum Volke von der Apokalypse nicht predigte, sondern schrie und vom Schweife des Drachens sprechend die Behauptung aufgestellt hatte, daß dieser Drache der Magister Johannes Wiclif gewesen ist, der schon mehr als den dritten Teil der streitenden Kirche in seinen Irrtum verstrickt habe.

Ähnliche Äußerungen wird man bei Huß noch öfter finden.3) Sie

1) Geschichtsschr. d. hussitischen Bewegung 2, 593.

?2) Ebenda, S. ır2—128, mit dem Titel: Recommendatio artium liberalium.

3) Vgl. Huß, Predigten a. a.O. 2, 45: Und sagt irgend jemand, daß sie doch die hl. Schrift vorweisen möchten zur Begründung ihrer Satzungen, so schreien sie gleich: Seht doch den Wiclefiten, der die hl. Kirche nicht hören will. Sie halten nämlich sich selbst und ihre schriftwidrigen Satzungen für die hl. Kirche.

PREUN SOHE PH

kommen ebenso oft auch bei seinen Freunden vor und in diesem Sinne äußert sich Pribam: Nicht ich bin es, der die Irrtümer Wiclifs zu verbreiten angefangen hat, sondern die ganze böhmische Nation mit dem Magister Huß und Jakobell.

Man wird es unter diesen Umständen begreifen, daß in gleichzeitigen Briefen, Urkunden, annalistischen Aufzeichnungen und in zahlreichen Gassenhauern fast ausschließlich von Wiclifiten (Wiclefiten, Wiclefisten usw.) gesprochen wird und die Bezeichnung Husse (Hussita, Hussite) verhält- nismäßig spät und auch da fast ausnahmslos in Verbindung mit Wiclif begegnet. So finden wir beispielshalber in den von Palacky herausgege- benen Documenta magistri Joannis Hus in 23 Briefen und Urkunden die Bezeichnung Wiclifit!), dagegen Hussit nur einmal, und zwar in einer (wohl später hinzugefügten) Überschrift zu einem Aktenstück und viermal in Verbindung mit dem Ausdruck Wichfit. Diese Bezeichnung kann als die eigentliche Benennung der Anhänger der neuen Richtung angesehen werden, wie sie noch in einem amtlichen Schriftstücke König Sigismunds vom II. Juli 1418, das an den Kurfürsten Ludwig von der Pfalz gerichtet ist, erscheint?), und so findet man auch später bei Beginn der Hussitenkriege anfänglich die Bezeichnung Wiclifit vorherrschend; allmählich aber wird sie von jener anderen verdrängt und immer mehr und mehr von Hussen gesprochen, von Waisen, Taboriten usw.

1) Zum Jahre 1408 findet sich die Benennung Wiclifit in der Klage des Prager Klerus an den Erzbischof, s. Doc. 153, in den Synodalstatuten (333), im Chronicon univ. Prag (731 u. 733), zum Jahre ı4ıı ebenda (735) und in einer annalistischen Aufzeichnung (736), zum Jahre 1412 in der Klage des Prager Klerus beim päpst- lichen Hofe, daß man aus Wiclifs Büchern irrige Lehrsätze nehme und verbreite (458), zum Jahre 1413 als eine Äußerung des Palecz in einem Briefe Hussens (Doc. 56), in der Replik der Prager Magister gegen die von der theologischen Fakultät gemachten Bedingungen zur Herstellung der Einigkeit (501); die ganze Partei des Huß wird in einem sozusagen amtlichen Schriftstück, das an die theologische Fakultät gerichtet ist, als wiclifitische bezeichnet (508), Stanislaus von Znaim, Stephan von Palecz und Andreas von Brod (519) sprechen nur von Wiclefisten. Auf dem Konzil von Kon- stanz haben einzelne Personen (541, 542, 601) und das Konzil als solches die Anhänger des Huß als Wiclifiten bezeichnet (474, 578, 648, 649); so spricht auch Hussens Zeit- genosse und eifriger Gegner auf dem Konstanzer Konzil, Johann der Eiserne, Bischof von Leitomischl, von der Sekte der Wiclefiten (259), die das Unkraut in Böhmen ausgesät haben. Zum Jahre 1416 wird in den Accusationes regis Wenceslai, regine Bohemie, nobiliumque Bohemorum, als sie dem Konzil vorgelegt wurden, geklagt, daß Wiclefisten an dem Ruin der Universität schuld seien. König Sigismund spricht in einer Zuschrift an das Konzil gleichfalls von Wiclifiten, ‚qui dicuntur de secta Wiclefistarum‘‘ (654). Eine cantio von 1418 singt: Fidelis Bohemus plangit Omnes Wiclefistas tangit... Wiclefiste expellantur. Andreas von Brod gebraucht 1414 den Ausdruck Joannita, der wohl mit Hussita identisch ist (519). Der letztere kommt von 1416 in Verbindung mit Wiclefista (639, 640, 684, 756) vor. In einer Überschrift zu einem Aktenstück von 1416 heißt es: Accusatio super sacerdotes Hussitas.

2) Reichstagsakten 7, 349: ut novitatem, que ibidem de Wiclefistis exsurrexit, possimus eradicare,

a

Was die Jahrbücher und Chroniken Böhmens betrifft, so wenden das Chronicon Bohemiet), die Chronik der Prager Universität?), das Chronicon Treboniense3), die Chronik des Notars Prokop®) die Bezeichnung Wicle- fisten an, wenn sie von den Anhängern des Huß reden. Nur vereinzelt findet sich bei Prokop, der im übrigen kein Zeitgenosse der ausbrechenden Bewegung war, die Bezeichnung Hussite. Das Chronicon veteris collegiati kennt sie nicht und Lorenz von Bfezowa spricht entweder von Wiclefisten?) oder sagt, um deutlicher zu werden, Wiclefiten, die anders auch Hussiten heißen. Der Anonymus de origine Taboritarum spricht gleichfalls nur von Wiclefisten®), und so findet sich noch in manchen gleichzeitigen annalistischen Aufzeichnungen oder in Spottgesängen Böhmens dieser Ausdruck. In den Jahren 1414—1418 spricht man in den offiziellen Akten- stücken, die von katholischer Seite in Böhmen ausgehen, nur von Wicli- fisten.”) Wie in diesen urkundlichen Denkmälern, so wird auch in den Inquisitionsfragen, die den Hussiten vorgelegt werden, von Wiclifisten gesprochen.®) Stephan von Palecz spricht in seiner Abhandlung De com- munione sacramenti sub utraque specie nur von Wiclifisten?), desgleichen

1) Geschichtsschr. d. huss. Bewegung ı, ıı. Citatus est archiepiscopus a Wicle- fistis.

2) Ebenda 18, 19, 22, 24, 33, 35, 36, 43.

3) Ebenda 50, 65.

4) Ebenda 49, 76.

5) Ebenda 324: Presbyteri magistro Johanni Hus adherentes protunc Wicle- fiste... 328: Wiclefiste seu Hussite. ..

6) Ebenda 528: Hec videntes Wiclefiste cogitare ceperunt... que Wiclefiste in sua detinent potestate.

?) Sehr lehrreich in dieser Beziehung ist jenes Aktenstück, das im elften Buch der libri erectionum als Testament des Prager Domherrn Adam von Nezeticz mit- geteilt wird. Er vermacht bedeutende Legate an kirchliche Würdenträger in Prag, fügt aber hinzu: Suspectus de secta Wiclefistarum non eligatur, s. Balbin, Misc. dec. 1. lib. 5, 220/1. Auch seine Bücherschätze vermacht er in gleicher Weise: Reliqui libri... ecclesie Pragensis usibus reserventur... sed nulli Wiclephiste aut suspecto. Das Testament ist am 18. Juli 1419 notariell beglaubigt worden.

8) Secuntur interrogaciones, quibus interrogantur Wiclefiste. Cod. Vindob. 4941, fol. 248a. Auch mitten im Text.

°) Cod. pal. Vindob., fol. ırıa: Impugnatur ergo ecclesia moderno tempore maxime ab hereticis nove secte Wyeclefistis... So wiederholt: nur an zwei Stellen wird gesagt: Wyklefiste seu Taborenses. Der Ausdruck Hussita findet sich in diesem Traktate wohl auch, aber nur in dem einleitenden Teil, der nicht von Palecz herrührt. Auch in der Replicatio Quidamistarum de stilo magistri Stephani Palecz (Cod. pal. Vindob. 4308 und Cod. un. Prag. XI, E. 3) wird nur von Wiclifisten gesprochen. Die Replicatio stammt aus dem Jahre 1415. Was Stanislaus von Znaim betrifft, s. die Responsio contra posicionem Wiclefistarum per magistrum Stanislaum de Znoyma doctorem subtilissimum theologie in meinen Beiträgen zur Gesch. der hussitischen Bewegung 4, 361ff. Die Responsio hat das Datum von 1413. Im Cod. 49 der Biblio- thek in Hohenfurt ist eine Prophecia magistri Theoderici .... de Wiclefistis sub utraque specie sumentibus.

ge

Stanislaus von Znaim in seiner berühmten Schrift Alma et venerabilis facultas. In den Schriften gegen die vier Prager Artikel wird gleicher- maßen von Wiclifisten gesprochen!.) Von Interesse ist, was noch Peter Chel£icky über Wiclif sagt: Vor nicht langer Zeit hat jemand, der zu euch gehört?), uns belehrt, was ihr glaubet und daß ihr all das, was ihr von den Zeichen vorbringt, aus Wiclif schöpft, aus seinen zwei Büchern vom Leibe Christi... Johannes Huß und Jakobell haben besser als andere Böhmen Wiclif verstanden... Ich glaube, sagt er an anderer Stelle, das muß euch lieb sein wie Salz in die Augen, denn da ihr euch meist auf Wiclif stützt, habe ich es aus Wiclif genommen... Da du, spricht er schließlich Roky- zana an, den Wiclif anführst und keinen anderen Doktor, so scheinst du ihn höher zu achten als andere. Allerdings achte ich Wiclif vorzugsweise deswegen, weil ich von ihm höre, niemand unter den alten und auch unter den jetzigen Doktoren habe gegen das Gift, das der hl. Kirche eingeflößt ist (d.i. die sog. „Verkaiserung‘‘) so gut gesprochen und geschrieben.

In den Nachbarländern, wie Mähren, Schlesien, der Lausitz, hat sich die Bezeichnung Hussita früher eingebürgert. Stephan von Dolein spricht schon viel von den Hussonisten?), desgleichen Ludolf von Sagan®), doch kommen bei beiden auch noch öfter die Ausdrücke Wiclefisten vor; in Schlesien spricht König Sigismund zunächst nur von Wicleffen und Ketzern.?) In den zwanziger Jahren kommt dann die Benennung Hussita in allgemeineren Gebrauch. Wiclefiten erscheinen fortan noch in den aus der päpstlichen Kanzlei stammenden Urkunden, aber auch da wird dem Worte noch das ergänzende Hussite beigesetzt. Ganz schwindet jedoch die alte Bezeichnung nicht. Noch in den Aufzeichnungen, die sich über die Disputation zwischen Katholiken und Hussiten auf der Burg Zebrak im Jahre 1428 erhalten haben, und die von Johann von Duba, einem Zeit- genossen und Augenzeugen herrühren, werden von katholischer Seite die Gegner als Wiclefiten bezeichnet.6) Und so sprechen noch in der Mitte des 15. Jahrhunderts Tempelfeld’) und andere von Wiclifiten.

Das richtige Wort über das Verhältnis des Huß zu Wiclif, wie es von Anfang an erscheint, hat der Engländer Stokes ausgesprochen: Huß möge sich doch dieser Schriften und Lehrmeinungen nicht als seines

1) Tractatus Wiclefistarum presentatus per eos SerMis principibus regi Polonie et magno duci Lytvanie Cod. bibl. Olomuc. 2, II, 21.

2) Goll, Quellen und Untersuchungen zur Gesch. der böhmischen Brüder 272.

3) Pez, Thesaurus anecdotorum 4, 2 u.a.

%) Quod quidam... sequaces doctrinam Johannis Wyclyff... Wiclefiste et Hussite (155, 130). Wiclefiste 155, 187.

5) Grünhagen, Geschichtsquellen der Hussitenkriege, Nr. I, 2, 4, 7 usw. Auch in Melk sagt man entweder Wiclefiste oder fügt noch Hussite bei.

6) Archiv Cesky 3, 264. Palacky, Urk. Beiträge, I, 545.

?) Arch. f. österr. Gesch. 61, 160. Jirsik kann nicht König sein, weil er ein Wichfist ist.

BER

Eigentumes rühmen, da sie doch Wiclif angehören, dessen Pfade er wandle.!)

Im übrigen ist Stokes allerdings zu weit gegangen, wenn er seine Mei- nung dahin aussprach, daß Huß sich dieser Lehrmeinungen als seines Eigentums rühme. Dies wird aus Hussens Schriften, aus den Abhandlungen sowohl als auch aus den Predigten und Briefen nicht ersichtlich.

Wie man schon aus einer Predigt Hussens aus seiner ersten Zeit ent- nimmt, ist er bereits I403 und wahrscheinlich früher noch eifrig beim Studieren der Schriften Wiclifs gewesen, in einer Zeit, da er sich noch im besten Einverständnisse mit dem kirchlichen Oberhaupt seines Sprengels befand. Und so erschien diese ganze Bewegung der Geister vom Jahre 1403 angefangen den Zeitgenossen als die leibhaftige Wiclifie und dem- gemäß wird man sich nicht wundern, wenn Huß selbst von diesen als Wiclifit bezeichnet wird, wie dies beispielshalber in der Klageschrift des böhmischen Klerus vom Jahre 1412 geschehen ist.?)

5. Kapitel.

Wichfitische Strömungen und Gegenströmungen in den Jahren 1403—1409.

Kein anderer böhmischer König, selbst nicht der ‚ufgeruckte‘ Hussiten- könig Jirsik‘ stand bei den deutschen und katholischen Bewohnern der an Böhmen grenzenden Länder in einem so schlimmen Andenken als König Wenzel, und mit keinem ist auch die Nachwelt schärfer ins Gericht gegangen?): Zunächst galt er als der Zerrütter des ‚generale studium“ und trug sonach den Groll aller derer, die mit schwerem Herzen von dieser vordem so berühmten Pflanzstätte der Bildung abgezogen waren. Dann hat er die Ketzerei begünstigt, wenn nicht gar ausgeheckt, und diese war bei den Deutschen um so verhaßter, als sie sich in ihren Wurzeln auch gegen das deutsche Wesen gekehrt hat. Kein Wunder, daß man ihn einer ganzen Reihe schändlicher Taten beschuldigte, wie sie nur eine geschäftige Phan- tasie auszusinnen vermochte.®)

!) Petri de Mladenovic Relacio, Doc. mag. Joannis Hus 308.

2) Beatissime pater... Quidam iniquitatis filius, magister Joannes Hus Wicle- fista cum suis complicibus... stans sub vinculis excommunicacionis ultra duos annos et articulos Wiclef heresiarche damnatos publice defendens... contra... indulgencias oblatrare... non erubuit. Documenta 460/1.

?) S. die Charakteristik Wenzels bei Lindner, Geschichte des Deutschen Reiches unter K. Wenzel 2, 170 und den Exkurs 469— 472.

*) Die heftigsten Anschuldigungen finden sich bei Ludolf von Sagan im Tractatus de longevo schismate. Gleich im ersten Kapitel gibt er sein Gesamturteil ab: Scien-

ge

Auch die kritische Forschung hat die Überzeugung gewonnen, daß sein Regiment, von Anfang an schwach, gegen das Ende hin vollständig unfähg war. Die politischen Kämpfe im Lande, der nationale Hader seit den acht- ziger Jahren, der Streit des Königs mit der hohen Geistlichkeit, die Günst- lingswirtschaft, die Gründung des Herrenbundes und deren unmittelbare Folgen all das zeigte den jähen Niedergang der karolinischen Monarchie: Als man in Prag um die Thesen Wiclifs stritt, saß König Wenzel gefangen in Wien. Dazu fehlte es in jenen Tagen auch an einem geistlichen Ober- haupte, das gleich Arnest von Pardubitz die kirchliche Autorität im Lande mit kräftiger Hand aufrecht erhalten hätte. Es gilt heute als eine Tatsache, die auch von streng katholischer Seite nicht bestritten wird, daß weder Wolfram von Skworetz noch Sbinko von Hasenburg, dem in den ersten Jahren der wiclifitischen Bewegung in Böhmen eine so wichtige Rolle beschieden war, ihrer hohen Stellung, zu der dieser noch dazu in jugend- lichen Jahren gelangte, gewachsen waren. Sbinko führte das Schwert lieber als die Feder und wenn er, wie im Sommer 1404, gegen Niklas Zul von Ostredek oder im Jahre 1406 gegen die Bayern, die Feinde seines königlichen Herrn, zu Felde zog, so glich er den streitbaren Kirchen- fürsten früherer Jahrhunderte, die im Felde bewanderter waren, als im Chore. In Böhmen war er der erste und auch der letzte Erzbischot, der die Stola mit dem Schwerte vertauscht hat. Mit seiner Gelehrsamkeit war es nicht weit her: jene Gassenhauer haben eine gewisse Berühmtheit erlangt, in denen man seiner spottete, daß er Bücher verbrenne, ohne zu wissen, was darin geschrieben ist. Aus solchen Liedern hat man in späteren Tagen unrichtigerweise den Eindruck gewonnen, als wäre er überhaupt des Lesens unkundig gewesen. Man darf auch seine anfänglichen Bezie- hungen zu Huß nicht übersehen. Sie bezeugen, daß er für die Ver- besserung des kirchlichen Notstandes Sinn hatte.!) Allerdings waren die Verhältnisse, unter denen er zu wirken hatte, stärker als sein guter Wille.

Unter solchen Umständen hat die Wiclifie, die in den gelehrten Kreisen längst maßgebend geworden war, tiefe Wurzeln zu fassen vermocht. Sie hat sich gleichwohl nicht in gleichmäßigem Tempo über das Land hin verbreitet. Gleichzeitige Schriftsteller unterscheiden schon zwei Phasen ihrer Entwicklung und bezeichnen das Jahr 1409 den Abzug der deut- schen Studenten und Professoren aus Prag als die Scheide zwischen beiden. „Im Jahre des Herrn 1409“, sagt eine Aufzeichnung aus der Um-

dum, quod de eo pauca vel nulla possum bona scribere. Arch f. österr. Gesch. 60, 420. Klagen über Wenzel wegen Begünstigung der Ketzerei finden sich auch sonst und wurden dem Konstanzer Konzil überreicht: Querimonia contra regem Wenceslaum subdola in Documenta 638, gegen die Königin Sophie 640.

1) S. über ihn Sedläak, Jan Hus 103ff.

SE 2 m

gebung des Hauses Rosenberg!) ‚‚war die Zerspaltung unter den böhmi- schen Studenten und den anderen Nationen, so daß diese und die Deutschen aus Prag vertrieben wurden.“ ‚Und gleich darauf“, fährt die Chronik fort, „begann die Wiclifie zu erstarken und vom geistlichen Gehorsam sagten sich los der Magister Huß und seine Anhänger unter der Gunst der Laien“.

Und so sagt auch Stephan von Dolein?), daß ungefähr vom Jahre 1410 an jene Pest, die den Büchern Wiclifs entsproßt war, als ein Unkraut zwischen dem Weizen Christi ‚„auszuwachsen‘ begann. Denn bei jener indirekten Vertreibung der Deutschen, heißt es bei Ludolf von Sagan, schienen die Böhmen den Böhmen anzuhangen, auch jene, die keine An- hänger der Ketzerei waren. Die Kundigen unter ihnen meinten da wohl, daß sie allein ohne die Beihilfe einer anderen Nation jenes Unkraut Wichfisten und Hussonisten auszurotten vermöchten.

In den Jahren 1402—1409 schlug die Bewegung noch nicht so mächtige Wogen, gleichwohl konnte man sie schon deutlich bemerken. Neben den allgemeinen politischen Momenten haben auch nationale und wissenschaft- liche Motive auf sie eingewirkt. Im Hinblick auf die letztgenannten ist die Universität maßgebend gewesen.

Von Karl IV. gestiftet, ‚auf daß die Bewohner Böhmens, die es nach der Frucht der Wissenschaft unaufhörlich hungert, im eigenen Lande den Tisch gedeckt finden, ohne genötigt zu sein, in fremden Ländern zu betteln“, und bestimmt, ein Anziehungspunkt für die Wissensdurstigen aller Länder zu sein, zogen vom Anfange an viele Deutsche nach Prag, wie dies bei dem Mangel anderer Universitäten in Deutschland und dem Umstand, daß die Hauptstadt Böhmens auch die des Reiches war, als ganz natürlich erschien. Die Deutschen besaßen von Anfang an das Übergewicht über die Ein- heimischen, eine Sache, die von diesen schwer empfunden wurde, denn sie hatten nicht bloß in den Universitätsversammlungen, sondern auch bei den Wahlen nur eine Stimme, während die Ausländer drei besaßen, und in deren Händen sich auch die Universitätsämter, Pfründen und Stiftungs- plätze befanden, deren Verleihung der Hochschule zukam.?) Gegen die Privilegien der Ausländer gewannen die Böhmen nach mehrmaligem Ansturm in den Jahren 1384 und I390 so bedeutsame Vorteile, daß nun die nationale Opposition durch mehr als ein Jahrzehnt ruhte. Am Aus-- gang des I4. Jahrhunderts trat Huß an ihre Spitze und um ihn scharte

1) Cod. univ. Prag. VI, F. ıı (nicht ı2 wie bei Höfler, Geschichtsschr. d. huss. Bewee. 2,72).

2) Epistola ad Hussitas bei Pez, Thesaurus 4, 6.

3) Über die nationalen Streitigkeiten an der Universität s. neben Palacky, Gesch. v. Böhmen 3, I, 232, und den älteren Büchern von Held, Tentamen (Prag 1827) und Höfler, der Magister Johannes Hus noch Paulsen, die Gründung der deut- schen Universitäten im MA. im 45. Bd. d. Hist. Zeitschr. 528.

SIE RER

sich ein Kreis von Männern, deren Herz lebhaft für die Interessen ihrer Nation schlug. Wie oft spricht Huß von seinem Volke als der „geheilig- ten‘‘ Nation, von dem ‚glücklichen‘ Böhmen, von Prag, „dem zweiten Paris“. Daß er jemals gegen die Deutschen eine Animosität bekundet, hat er später lebhaft in Abrede gestellt, aber schon in den Worten, die er hierbei gebraucht, liegt eine solche: Ein guter Deutscher sei ihm lieber als ein schlechter Böhme. Sie findet sich tatsächlich in seinen Traktaten und Predigten und wird von durchaus glaubwürdigen Zeitgenossen bestätigt.!) Neben dieser lebhaften nationalen Opposition lief noch eine andere her: Wie Hussens Lehrer und Meister, gehörte auch er selbst zu den Realisten, wogegen die drei anderen Nationen in ausgesprochenster Weise der nomi- nalistischen Richtung zugetan waren.?)

Diese Strömungen und Gegenströmungen mußten dem akademischen Leben in Prag in den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts einen eigen- artigen Reiz verleihen. In den Hallen der Universität, den Kreuzgängen der Kirchen und Klöster, und selbst in den Privathäusern und auf den Straßen erörterte man in lebhafter Weise die Sätze des großen englischen Theologen und Philosophen ungefähr so, wie man vierhundert Jahre später in den Straßen von Jena über Raum und Zeit und das gesamte System des großen Königsberger Weisen disputierte.

An Wiclif pries man die hervorragende Gelehrsamkeit. Von seiner scharfen Dialektik wurden Wunderdinge erzählt: Streitfragen könne er nach Belieben und ohne daß ihm jemand zu widerstehen vermag, bejahend oder verneinend behandeln. Das war es freilich nicht, was Huß in so mäch- tiger Weise anzog: ‚Es zieht mich,‘ sagt er in der Replik gegen den Eng- länder John Stokes?), ‚zu ihm der Ruf, den er hat nicht bei den schlech- ten, sondern bei den guten Priestern, bei der Universität Oxford und im allgemeinen bei dem Volke, obgleich nicht bei den schlechten, habsüchtigen, prachtliebenden, schwelgerischen Prälaten und Priestern. Mich ziehen seine Schriften an, durch welche er alle Menschen zum Gesetz Christi zurückzuführen sucht, und besonders die Geistlichen, daß sie die Pracht und die Herrschaft der Welt fahren lassen und mit den Aposteln leben nach dem Leben Christi. Es zieht mich an die Liebe, die er zum Gesetz Christi hat, indem er dessen Wahrheit behauptet, daß es auch nicht in dem geringsten Punkt falsch sein könne.‘ Wie Stephan von Dolein er- zählt, war unter den Pragern Magistern Huß im Anfange ‚nahezu der

t) Documenta magistri Joannis Hus 168: Christus scit, quod plus diligo bonum Teutonicum quam malum Bohemum, eciamsi sit frater meus germanus. S. auch 177: Nos Teutonici premunt et officia in Bohemia occupant et nos tacemus usw.

2) Die Literatur hierüber verzeichnet Sedläk 79. S. Loewe, der Kampf zwischen dem Realismus und Nominalismus im MA. Abh. d. kgl. böhm. Ges. d. Wissenschaften 1876.

3) Opp. Huß 109a.

ET

einzige, der die Schriften Wiclifs mit Freuden empfing, sie anderen zum Studium und zur künftigen Richtschnur überließ, wiewohl es einige Leute gab, die ihm leise widersprachen: Leute, die nun (1417) schon im Herrn ruhen, und andere, die noch übrig sind.‘“!) Daß aber Huß mit seiner tiefen Verehrung Wiclifs nicht allein stand, steht längst fest. Auf diesen Stand- punkt wurde er selbst durch seine Lehrer und älteren Freunde geführt. In einer Spottschrift, der sog. deutschen Messe, hieß es: Stanislaus von Znaim zeugte den Peter von Znaim, Peter von Znaim zeugte den Stephan Palecz und Stephan Palecz den Huß.?) Hier wird Stanislaus von Znaim an die Spitze der gesamten Bewegung gestellt, wie er tatsächlich auch der realistischen Richtung angehörte und anfangs die Wiclifschen Lehren mit größerem Eifer noch als selbst Huß verteidigte.) Darum konnte Huß diesen Männeın, als sie später seine Feinde geworden waren, zurufen: Einst waret ihr Realisten, nun seid ihr freilich Terministen, d.h. Nomina- listen geworden. Außer den genannten Männern taten sich noch Stephan von Kolin, Johann von Jessenitz, Prokop von Pilsen, Simon von TiSnow, Nikolaus von Leitomischl, Christian von Prachatitz und andere durch ihre warme Teilnahme an der durch den Eintritt der Wiclifie erzeugten Bewegung hervor. Daß mit dem in Prag seßhaften Kreis der Jünger Wiclifs auch außer- halb der Hauptstadt wohnende Persönlichkeiten in Verbindung traten, dafür bietet schon Thomas Stitny einen Beweis. Die Bewegung griff überhaupt mit großer Schnelligkeit um sich. ‚Ich habe,‘ sagt Stephan von Dolein in seiner schwülstigen Weise, „gestaunt, wie einige unsinnige Magister, Leute der Wiclifschen Richtung und des Schismas, von hündischer Wut erregt, durch prophane und gotteslästerliche Tendenzen und durch Artikel, die mit teuflischer Kunst verfaßt sind, den Ritus und die bestehende Kirchenordnung verunzieren und mit frevelhaftem Wagnis die nichts- würdigsten Fabeleien unverschämterweise in die Öffentlichkeit tragen.“ Daß Stephan hierbei schon die Jahre 1403—1405 im Auge hat, ersieht man aus dem Umstande, daß er das bekannte Ausschreiben des Prager Erz- bischofs Sbinko vom Jahre 1406 in Angelegenheit des Altarssakramentes als eine Folge dieses wiclifitischen Treibens hinstellt.) Nachdem sie, heißt es weiter, fremde Länder durchzogen, erfüllen sie auch in Böhmen und Mähren die Säle der Fürsten, die Kollegien und Kathedern der Priester,

1) Epistola ad Hussitas a. a. O. 528.

?) Hus ad scripta Stephani Palecz Opp. 255b.

®) Den Traktat des Stanislaus De Universalibus Realibus s. bei Sedläk, Jan Hus, p. 81%*—93*. jest (sagt d. Herausg.) tak prostoupen mySlenkami Viklefymi, Ze jej Dziewicki vydal jako dilo Viklefovo, vlastniho traktätu Viklefovo, pominuv, S.8o.

*) Medulla tritici 158. Das Ausschreiben ebenda. Der Text bietet jedoch ebenso wie der bei Palacky Doc. 335 Anlaß zu Ausstellungen. Statt detruncatos lies deter- minatos. Der vorletzte Satz lautet: Unde si quis compertus fuerit... hereticus est et ut talis... punietur.

rm

die Schulen der Studenten und die Haufen des gläubigen Volkes mit ihrem gewaltigen Schrecken, ja sie dringen selbst in die einsamen Räume der Mönche und in die der Ruhe geweihten Zellen der Karthäuser. Stephan von Dolein hat schon 1408 nicht nur eine genaue Kenntnis von Wiclifs Trialogus, sondern widerlegt ihn bereits, was doch zweifellos ein längeres Studium des Buches voraussetzt. Und in derselben Epistola ad Hussitas erzählt er, daß Huß selbst den Trialogus übersetzt und ihn dem Mark- grafen Jodok von Mähren seligen Angedenkens (} 18. Jänner ı4Ir) und anderen vornehmen Männern, auch Laien und selbst an Frauen übersendet habe.!) Und so wird man sich nicht wundern, daß er in einer Predigt, die er auf der Synode des Jahres 1405 gehalten hat, Wiclifsche Worte ge- braucht und seine Rede von Wiclifschen Gedanken durchsetzt ist. Ja sogar die Wiclifsche Prädestinationslehre hat er in dieser Rede bereits vorgetragen, und man kann nur zweifeln, ob er diese Lehre dem Trialogus oder dem Traktate de Christo et adversario Antichristo oder endlich dem Buch von der Kirche entnommen hat. Er kennt sicher alle drei, aber die Stelle dürfte am ehesten aus dem Trialogus stammen, denn auch die De- finition der Gottesliebe ist dort in ähnlicher Weise gegeben wie in der Predigt des Huß. Auch die Synodalpredigt von 1407 enthält Wiclifsche Sätze und Wendungen. Daß Huß bereits im Jahre 1403 mit Wiclifs Lehren sehr vertraut war, wird man nach dem Gesagten nicht bezweifeln dürfen und es ist richtig, wenn man seine Äußerungen über die Abendmahlslehre, die stark nach der Wiclifs klingen, in eine sehr frühe Zeit setzt.?)

Aber schon erhob sich gegen die Fortschritte des Wiclifismus von einer gewichtigen Seite Einsprache. Zwei Mitglieder des Prager Dom- kapitels, der erzbischöfliche Offizial Johann Kbel und der Archidiakon Wenzel von Bechin überreichten im Namen des Kapitels der Universität zwei Reihen ketzerischer Artikel Wiclifs, um darüber Beschluß zu fassen. Die erste Reihe umfaßte jene 24 Artikel, die von der Londoner Synode im Mai 1382 verurteilt worden waren.?) Dazu kamen 2I Artikel, die Johann Hübner, ein Schlesier und damals Magister in Prag, aus Wiclifs Schriften ausgezogen hatte.2) Am 28. Mai 1403 versammelten sich sämt- liche Magister im Karolinum, Huß und Nikolaus von Leitomischl be-

a) Bez, Thes. anıl. c.527.

?2) Ob gerade das Jahr 1399 (Doc. 175) das richtige ist, mag billig bezweifelt werden, da Huß damals noch nicht Priester war; richtiger ist die dabeistehende Notiz: et tunc temporis predicavit in ecclesia S. Michaelis (s. oben).

32) Der beste Abdruck bei Shirley, Fasciculi zizanniorum 277. Danach sind die Drucke von Palacky Doc. 327—331ı und Höfler, Concilia Pragensia zu verbessern.

4) S, das Schreiben des Stanislaus von Znaim an Hübner (bei Sedläk, S. 94*—98), das die Behauptung, daß Wiclif ein Ketzer sei, abweist. Sonst müßte man auch St. Augustin, Petrus Lombardus, Thomas v. Aquino Ketzer nennen, weil in ihren Schriften von Häresien gesprochen wird.

schuldigten Hübner, die Artikel unrichtig ausgezogen zu haben. Huß fügte die Worte hinzu: Solche Fälscher von Büchern verdienten eher verbrannt zu werden als die Safranfälscher Berlin und Wlaska, die in jenen Tagen den Tod erlitten hatten. Stanislaus von Znaim verteidigte sämtliche Artikel in so anstößiger Weise, daß einige Doktoren die Sitzung ver- ließen.t) Mit Stimmenmehrheit wurde der Beschluß gefaßt, daß in Zu- kunft niemand mehr über die 45 Artikel lehren oder predigen dürfe.

Am lebhaftesten wurde um Wiclifs Abendmahlslehre gestritten, die dieser fast in allen seinen Büchern und Flugschriften seiner letzten Jahre behandelt hatte. Noch ist Stanislaus der Wortführer der böhmischen Wichfiten. Im Sinne Wiclifs schrieb er einen Traktat De Remanentia panis. Daß nun Prag der beste Boden für solche Streitigkeiten war, ist nach dem, was über den oftmaligen oder täglichen Empfang der Kom- munion gesagt wurde, begreiflich genug. Von Stanislaus erzählt Huß, daß er die Wiclifsche Abendmahlslehre in der Schule gelehrt und ihn selbst aufgefordert habe, diese Lehre festzuhalten.?) Sein Traktat über die Re- manenz ist von dem Magister Ludolf Meistermann einem Sachsen demselben, der auch noch 1409 eine wichtige Rolle gespielt hat, als ketze- risch bezeichnet worden.?) Stanislaus wurde gezwungen, seine Schrift zu widerrufen oder wie sich Huß in einem Briefe an den Magister Christian: von Prachatitz ausdrückt, einfach abzuleugnen. Von dem Tage der Ver- sammlung im Karolinum, wo er zuerst zur Verteidigung der 45 Artikel bereit war, bis zu dem Momente, da er zum Widerruf gezwungen und von der Kurie schlecht behandelt wurde, war Stanislaus eifriger Wichfit, und wie wir Stephan von Palecz immer auf seiner Seite finden, auch wenn es sich um irrige Artikel Wiclifs handelte, so dürfte auch dieser den Artikel von der Remanenz des Brotes nach der Verwandlung eine Zeit hindurch behauptet haben.?)

Was Huß selbst anbelangt, so haben einige von seinen Gegnern die Meinung geäußert, daß er diese Lehre in Predigten und auch sonst öffent- lich vorgetragen habe. Huß hat jedoch diesen Behauptungen auf das leb- hafteste widersprochen.?°) Im übrigen scheint man in Prag die eigentliche Lehre Wiclifs auch einigermaßen modifiziert zu haben, wenigstens gibt Ludolf von Sagan eine leise Andeutung über die Sache. Vielleicht auch, daß Huß diese Lehre nur ‚in scholastischer Weise‘ vorgetragen hat, in jener, die die Gründe für und gegen erörterte, ohne selbst Partei zu ergreifen. Daraus würde sich dann der Widerspruch zwischen den Behauptungen des Huß und den Angaben seiner Ankläger einigermaßen erklären lassen.

!) Documenta 179. Huß Opp. 267a.

?) Hus ad scripta Stanislai. Opera fol. 288a. Documenta 56.

Huß nennt ihn Rudolf (s. Opp. 255a); vgl. dagegen Tempelfeld, a. a. ©. 136. *) Hus Opp. 288a.

®) Doc. 179, 182—184.

w

he) A

Gegen die Angabe, daß der Magister Hübner die 21 Artikel unrichtig, lügnerisch und böswilligerweise ausgezogen habe und nach Hussens Worten ein Bücherverfälscher sei, muß übrigens bemerkt werden, daß unter den Artikeln kein einziger ist, der nicht Wiclifsche Gedanken enthalten würde.

Das Verbot, die 45 Artikel in den Hörsälen der Universität zu lehren oder auf den Kanzeln der Kirchen in Prag zu predigen, hatte nur einen äußerlichen, kurz dauernden Erfolg, es bildete erst recht den Ausgangspunkt eines Streites, der schon nach wenig Jahren hohe Wellen schlug. Und so sagt die Universitätschronik: ‚Item im Jahre des Herrn 1403 hub an der bemerkenswerte Zwiespalt im Klerus des Königreiches Böhmen unter den Magisiern, Priestern und Prälaten wegen einiger Artikel, die aus den Schrif- ten des englischen Doktors Johannes Wicleff nicht gut!) ausgezogen waren.

Im ersten Jahre seines erzbischöflichen Amtes schenkte Sbinko von Hasenburg dem Magister Huß sein ganzes Vertrauen. Er bat ihn, der ja bald auch eine Vertrauensstellung bei Hofe gewann, so oft er irgendeinen Mangel oder einen Mißbrauch in kirchlichen Dingen entdecken würde, ihm die Sache persönlich oder, falls er abwesend sei, schriftlich zur Kenntnis zu bringen.?) Im Jahre 1405 ist er neben Stanislaus von Znaim Redner bei der Synode.?) In der damals gehaltenen Rede tritt abermals Wiclifs Einfluß stark hervor. Das ist auch bei seinen anderen Synodalpredigten der Fall. Aber schon die Synode von 1405 sah sich genötigt, gegen das Überhandnehmen der Wiclifschen Lehre vom Abendmahl einzuschreiten, und es hat den Anschein, daß dieses Vorgehen auf Huß nicht ohne Einfluß geblieben ist, denn alle Anschuldigungen seiner Gegner, daß er Anhänger und Verbreiter dieser Lehre gewesen, beziehen sich auf einzelne Äußerungen aus früherer Zeit. Was aber sollte geschehen, wenn man demnächst von der zuständigsten Stelle aus der Universität Oxford ein Zeugnis der vollständigen Rechtgläubigkeit Wiclifs in die Hände bekam ? Wie mußte das auf den großen Anhang, den seine Lehren schon jetzt gefunden hatten, zurückwirken. Man darf hier an das Testament des Magisters Adalbert Ranconis erinnern, aus dessen Legaten Studierende auch in Oxford er- halten werden konnten. Aber auch ohne diese konnten Studierende aus gutem Hause nach England gehen, um dort ihre Studien fortzusetzen. Zwei von diesen sind uns aus den Kopien Wiclifscher Bücher, die sie in England anfertigten und in die sie ihre Namen und den Ort ihrer Tätigkeit eingetragen haben, genauer bekannt: es sind, wie bemerkt, Nikolaus Faul-

1) S. dazu meinen Aufsatz, die Wiclifsche Abendmahlslehre und ihre Aufnahme in Böhmen, MVGDB. 30. Bd.

2) Doc. mag. Joannes Hus 3. SEOperas2e27iD:

ee

in England, wohin sie zweifellos zu dem ausgesprochenen Zwecke, Kopien der Arbeiten Wiclifs anzufertigen und Erinnerungen an ihn zu sammeln, gegangen waren. Wir finden sie an solchen Orten tätig, wo, wie in Oxford, die Erinnerungen an den Reformator am lebendigsten waren oder wo sich förmliche Mittelpunkte des Wiclifismus gebildet oder endlich hervor- ragende Mitglieder des englischen Herrenstandes dessen Schutz in die Hände genommen hatten. Durch die beiden Männer kamen nicht nur die wichtigsten Handschriften der Wiclifschen Literatur nach Böhmen!), die beiden bemühten sich auch, über den Leumund, den Wiclif an der Universität hatte, nähere Kundschaft zu erhalten. Sie brachten ein Zeug- nis der Universität Oxford über die Rechtgläubigkeit Wiclifs nach Prag. Darüber ist bekanntlich auch auf dem Konzil von Konstanz verhandelt worden.?) Nachher, so erzählt Mladenowitz darüber, legten die Engländer die Kopie eines Schreibens der Universität Oxford vor, von dem sie be- haupteten, daß es der Magister Johannes (Huß) zur Empfehlung Wiclifs in einer Predigt öffentlich vorgelesen und das Sigill vorgezeigt habe. Und als sie es gelesen hatten, fragten sie ihn, ob er dessen Inhalt ver- kündet habe. Huß antwortete, daß sich dem so verhalte: Zwei Studenten hätten es mit dem Sigill der Universität nach Prag überbracht. Da for- derten die Engländer ihn auf, die Studenten mit Namen zu nennen, da dies Schreiben gefälscht gewesen und nicht in rechtmäßiger Weise erflossen sei. Und der Magister sagte, indemerauf Palecz wies: Dieser, mein Freund, weiß ganz gut, daß Nikolaus Faulfisch guten Angedenkens in Gemein- schaft mit einem anderen, von dem ich nicht weiß, wer er war, diesen Brief überbracht hat. Auf dieses Zeugnis hat sich sonach Huß in seinen öffent- lichen Predigten berufen und noch in seiner Replik gegen den Engländer John Stokes?), der die Behauptung aufstellte, daß Wiclif in England als Ketzer gelte, sagt Huß: Das scheint doch nicht richtig zu sein, denn wir haben das Zeugnis der Universität Oxford, der man doch mehr Glauben schenken wird als ihm. Dieses Zeugnis hat man schon auf dem Konzil von Konstanz für eine Fälschung gehalten. In unseren Tagen hat man sogar, auf dem Bericht eines späteren Chronisten fußend die Genesis der Fälschung erklären wollen, wogegen sich allerdings eine gewichtige Stimme für die Echtheit des Dokumentes eingesetzt hat.?) Wie dem auch sei, so viel ist sicher, daß dieses Schreiben der weiteren Ausbreitung des Wichfismus ın Böhmen einen mächtigen Vorschub leisten mußte. Huß selbst scheint hiervon mächtig erregt gewesen zu sein. Er soll den Wunsch geäußert

t) S. den Exkurs Nr. ı. Zur Verbreitung der Wiclifhandschriften in Böhmen.

2) Mladenowitz in Doc. mag. Joann. Hus 313. Dieser Nikolaus Faulfisch er- zählte dem Huß eine artige Geschichte, die sich in England zugetragen hatte und die Huß mit vielem Behagen seinen Zuhörern vortrug. Vgl. Huß’ Predigten 2, 47.

3) Opera ı, ıogb.

*) Lechler, Johann von Wiclif 2, 71.

weht Hei

haben, daß seine Seele dahin gelangen möchte, wo die Wiclifs wäre.!) Unerklärlich ist nur die Behauptung, daß Huß den Namen des zweiten Studenten nicht kannte. Eine von solchem Erfolg begleitete Reise mußte doch im ganzen Land Aufsehen machen und in den nächsten Bekannten- kreisen des Huß wußte man ganz genau den Namen des Kniechnitz, so wie wir ihn heute kennen.?)

Das gute Einvernehmen des Huß mit dem Erzbischof tritt namentlich in der Wilsnacker Angelegenheit deutlich zutage. Zu Wilsnack befand sich eine Reliquie des Blutes Christi, der man große Wunderkraft zuschrieb.?) Von nah und fern, selbst aus Ungarn und Siebenbürgen strömten Leute herzu und trugen Wunderberichte in die Heimat zurück. Dagegen erhoben sich jedoch auch zweifelnde Stimmen, und der Erzbischof ließ durch eine Kommission, der neben Stanislaus und einem Dritten, als den man Stephan von Kolin vermutet, auch Huß angehörte, den Sachverhalt untersuchen, da wurden grobe Täuschungen festgestellt, die in Hussens Traktat ‚, Ouestio de sanguine Christi“ verzeichnet werden. Auf Grund der Untersuchung verbot Sbinko durch einen Synodalbeschluß®) die weiteren Pilgerfahrten. Über den Synodalbeschluß gab es in den nächsten zwei Jahren scharfe Disputationen an der Universität. Es wurde die Frage erörtert, ob Christus überhaupt sein Blut auf Erden hinterließ. Huß verneint die Frage. Die Schrift zeigt deutliche Spuren Wiclifscher Einflüsse, wie sie sich überhaupt in ihrer Tendenz mit einem zweiten Traktate Hussens ‚Contra imaginum adoracionem“ nahe berührt.’) Dieser aber stimmt in einem großen Teil wortgetreu mit Wiclifs Ausführungen über die Bilderverehrung überein.

Die Synodalrede von 1407 enthält eine Stelle, die lebhaft an eine ähnliche im Traktat des Kunesch von Trebowel erinnert, den dieser zu- gunsten des böhmischen Bauernstandes geschrieben hat. Man muß jedoch zweifeln, ob Huß die Schrift des bauernfreundlichen Domherrn benützte. Beide ziehen dieselbe Bibelstelle Numeri 27 von den Töchtern Saalphaats zur Beweisführung herbei.®)

Das gute Einvernehmen zwischen dem Erzbischof und Huß hielt bis zum Jahre 1407 an. Einigermaßen dürfte es sich schon 1405 getrübt haben. In diesem Jahre sandte Innocenz VIII. auf das hastige Drängen der Prä-

t) Documenta 154: Cum noverimus... in presencia Vestri ante tempora dixisse prefatum Hus, quod vellet animam suam ibi fore, ubi est anima Wicleff.

?2) Die Prager Universitätsakten führen ihn als Georgius de Knyechenicz zum Jahre 1408 auf, in welchem er sich sonach nicht mehr in England befand. MM. hist. univ. Prag. I, 402. „Simon v. Tischnow‘‘, MVGDB., Bd. 22 und 26.

3) Zur Sache s. FlajShans in der Einleitung zu seiner Ausgabe von Huß ‚De sanguine Christi‘ Iff.

4) Contra peregrinacionem in Welssenagg. Con. Prag. 47, Doc. 332.

5) Opera 2, 3404, 343b.

6) Opera 2, 35b. Vgl. meine Ausführungen im Arch. f. österr. Gesch. 57, 29, 38.

Loserth, Huß und Wiclif. 6

BAR BER

laten ein Mahnschreiben an Sbinko, das ihn zu schärferem Vorgehen gegen die Irrtümer und Ketzereien Wiclifs einlud. Eine Folge davon war das Ein- schreiten der Synode des Jahres1405 und jene, die, ein halbes Jahr später zusammentrat, erneuerte nicht bloß das Verbot der Abendmahlslehre Wiclifs, sondern eiferte auch gegen jene Prediger, die, gestützt auf Wiclif- sche Sätze, den Stand des Klerus herabsetzten.t) Sbinko erließ noch in demselben Jahre das Gebot, daß man am Fronleichnamstage dem gläu- bigen Christenvolke die unverfälschte Lehre vom Abendmahle verkündige. In denselben Tagen hatte, wie es scheint, Stanislaus von Znaim seine bis- herigen Überzeugungen und Anschauungen von der Remanenz des Brotes zurücknehmen müssen.?2) Unter solchen Verhältnissen erscheint es als bemerkenswert, daß Huß in den Jahren 1406 und 1407 nicht nur Synodal- predigten halten konnte, sondern von Sbinko auch noch belobt wurde.?) Doch fanden sich in seinen Reden schon Äußerungen über die Habsucht und das unordentliche Leben der Geistlichkeit, die starken Anstoß erregten. Die Geistlichkeit der Hauptstadt und der Diözese überreichte daher im Jahre 1408 dem Erzbischof eine Beschwerde gegen Huß, der in seinen Predigten die Geistlichkeit anschwärze und vor dem Volke verächtlich mache.*) Huß wurde nun seiner Stelle als Synodalprediger enthoben. Man hat gemeint, daß er damals zur Rechtfertigung seines Vorgehens den Traktat de arguendo clero pro concione abgefaßt hat, der, wenn auch in gerin- gerem Maße, Wiclifschen Einfluß aufwies.’) Auch aus den Prozessen gegen den Magister Nikolaus von Welemowitz, genannt Abraham, und Matthias von Knin, genannt Pater, wird dies ersichtlich. Jener hatte gelehrt, daß es auch dem Laien gestattet sei, zu predigen, dieser war Anhänger der Wiclifschen Abendmahlslehre. Beim Verhör wollte Abraham und wir sehen auch hier die Lehre Wiclifs wirksam weder auf das Kruzifix noch auf das Evangelium, sondern nur bei Gott schwören, und Huß ver- teidigte ihn vor den Untersuchungsrichtern mit den Worten: Der hl. Chry- sostomus nennt solche Leute, die einen Eid auf die Kreatur verlangen, töricht, als ob es mehr gelten würde, auf diese als auf Gott zu schwören.®)

1) Es ist allerdings zweifelhaft, ob das letztere Gebot, wie dies Höfler tut, schon in das Jahr 1406 zu setzen ist. S. das chronicon univ. Prag. ad annum 1405 und 1406. Concilia Prag. 5I—52. Documenta 3, 32.

2) Das genaue Datum läßt sich nach den bisher bekannt gewordenen Materialien nicht ermitteln.

3) Si in synodo aliquid predicavi erronei, quare doctor Adam vicarius tunc in spiritualibus statim ascendens post sermonem meum, fecit exhortacionem, laudans per omnia sermonem meum. Doc. 107.

S)EDocaTLS53:

5) So namentlich in dem von Wiclif so oft wiederholten Satz: bona temporalia a clero delinquente auferantur. Bezüglich der Datierung s. Sedläk, Studie a texty 2, 353.

6) Doc. 184/5. Die Sache betreffend Pater, ebenda 338.- Zur Sache s. Sedläk, 127; wo auf die Waldenserfrage eingegangen wird. Man muß aber das nicht mit Kbel

Te

Kbel warf dem Angeklagten vor, er halte sich an die Lehre der Waldenser und herrschte Huß an, er sei nicht hierhergekommen, um jenen in Schutz zu nehmen, sondern um zuzuhören. Bevor noch die Angelegenheit Abra- hams zu Ende geführt war, ließ der Erzbischof die böhmische Nation an der Universität am 20. Mai 1408 versammeln und auf die Verdammung der 45 Artikel antragen. Seinem Wunsche wurde aber nur zum Teil ent- sprochen: Die Versammlung beschloß, daß in Zukunft kein Mitglied der böhmischen Nation einen dieser 45 Artikel in ketzerischem, irrigem oder anstößigem Sinne behaupten, lehren oder verteidigen dürfe. Auch wurde bestimmt, daß in Zukunft kein Baccalar mehr über Wiclifs Trialog, Dialog und seine Lehre von der Eucharistie öffentliche Vorlesungen halten oder über einen Satz Wiclifs öffentlich disputieren dürfe.!) Schon findet in Prag eine Disputation eines Pariser Magisters Jakob Nouvion mit tsche- chischen Wiclifiten statt.?2) Die Synode, die am 15. Juni dieses Jahres abgehalten wurde, erneuerte das Verbot der Wiclifschen Abendmahls- lehre und untersagte den Priestern jede anzügliche Bemerkung wider den Klerus. Auf derselben Synode erklärte Sbinko auf des Königs Wunsch, daß sich nach genauer Untersuchung das Ergebnis herausstelle, daß in Böhmen keine wiclifitische Ketzerei vorhanden sei, und um sie nicht auf- kommen zu lassen, gebot er, daß alle, die im Besitz Wiclifscher Bücher seien, sie ausliefern sollten; eine Maßregel, die durchaus erfolglos blieb, denn wenn es dem Erzbischof auch nicht an gutem Willen fehlte, besaß er doch nicht die Macht, sie durchzuführen, und so spotteten nun die Wiclifiten seiner und der böhmischen Prälaten überhaupt in Schmahschriften, die an öffent- lichen Orten angeheftet wurden.?) An jenem Zeugnisse, das Sbinko auf der Sommersynode I408 ausstellte, war dem König um so mehr gelegen, als er daran dachte, die Zügel der Regierung im Reiche, die den Händen seines Gegners Ruprecht entglitten waren, wieder zu ergreifen. Der Ruf der böhmischen Ketzereien und deren Begünstigung durch den König konnte solchen Plänen nicht förderlich sein.2) Die Reaktion gegen den tschechischen Wiclifismus war somit in bestem Zuge, als ein Ereignis

notwendigerweise von den Waldensern herleiten, auch Wiclif spricht sich verschiedene Male ähnlich aus, s. Op. Ev. I, 181, Serm. I, 98: Idem est iudicum ... de iurantibus quantumcumque abiecto semine creature.

1) Palacky, Gesch. von Böhmen 3, I, 22.

2) Über die Disputation des Jacobus de Nouvion mit den Wiclifiten in Prag s. Sedläk 128ff.

3) Von einem Landtag, von dem Höfler, Mag. Johann Hus 193, und ihm folgend Frind, Kirchengeschichte Böhmens 3, 76f, sprechen, wissen die Quellen nichts. Das, worauf sich Frind bezieht (Conc. Prag. 61), gehört einer späteren Zeit an.

4) Wenzel geriet frühzeitig in den Verdacht, ‚ut heresis ipsa eciam ad pene- tralia cubilis sui serperet..... et conthoralem suam reginam cum multa familia insuper et nonullos proceres, barones et milites maculando corrumperet et corrumpendo macularet. Ludolf von Sagan lib. I, cap. 25.

6*

u Bun

eintrat, das der Sache plötzlich eine andere Wendung verlieh. Das war die Frage